Autorin
Meriam Mastour ist selbstständige Juristin und Beraterin für Ungleichheiten und Diskriminierung. Ausserdem ist sie Mitbegründerin des feministischen Kollektivs Les Foulards Violets. contact@meriammastour.com
Musliminnen faszinieren, irritieren, überraschen und fallen auf. Häufig wird über sie gesprochen statt sie zu Wort kommen zu lassen. Wer sind sie und wie sieht ihr Alltag aus?
Ein komplexes Phänomen in der Schnittmenge von Sexismus und Rassismus
Als Erstes würde ich die soziale Gruppe der «muslimischen Frauen, die möglicherweise Diskriminierung erleben», wie folgt definieren: alle Personen, die im öffentlichen Raum als tatsächlich muslimische Frauen sichtbar sind, sowie diejenigen, die als muslimische Frauen wahrgenommen werden, ohne es zu sein.
In diese Kategorie fallen etwa Frauen, die als islamisch geltende Marker (Schleier/Kopftuch) tragen. Bisweilen werden auch nichtmuslimische Schwarze Frauen, die aus anderen als religiösen Gründen einen Turban oder ein Kopftuch tragen, als muslimische Frauen betrachtet. Ein weiteres Merkmal kann ein muslimisch-arabisch klingender Name sein oder das Vorhandensein von Markern, die als Zeichen von Islamität/Arabität angesehen werden. Die arabische Welt wird oft als homogener muslimischer Block betrachtet, sodass nichtmuslimische arabische Menschen manchmal automatisch als Muslime angesehen werden. Dazu kommen Kinder, die in der Schule diskriminiert oder anders behandelt werden, weil ihre Mutter ein Kopftuch trägt.
Die Frauen, die unter diese Definition fallen, sind – wie andere Frauen – auch Opfer von Sexismus und Frauenfeindlichkeit (Belästigung auf der Strasse, ungleicher Lohn usw.), sie erfahren aber zusätzlich antimuslimischen Rassismus, Feindseligkeit gegenüber Muslimen oder Islamophobie. Sexismus und Rassismus können mit anderen Formen von Diskriminierung verbunden sein. So erleben Schwarze muslimische Frauen auch Anti-Schwarzen Rassismus, Menschen mit Behinderungen Validismus, Menschen mit Fettleibigkeit Grossophobie, Lesben und Transgender, Homo- und Transphobie usw. Hier kommt das von afrikanisch-amerikanischen Feministinnen Ende der 1970er-Jahre konzipierte und später von der Juristin Kimberlé Crenshaw theoretisierte intersektionale Analyseraster zum Tragen (Bachand, 2014). Es erlaubt uns, über die Verflechtung von Systemen der Unterdrückung nachzudenken. Es zeigt auch, dass die Aktionshebel und die Bekämpfung miteinander abgestimmt werden müssen. Es ist nicht möglich, isoliert eine Unterdrückung zu bekämpfen – eine Vision, die meiner Meinung nach überholt ist –, es gilt vielmehr, alle Formen der Unterdrückung gemeinsam anzuprangern.
Bemerkenswert ist übrigens, dass einige Medien und politische Kreise verwirrt sind, wenn Les Foulards Violets, ein antirassistisches feministisches Westschweizer Kollektiv aus muslimischen Frauen, nicht nur über Islamophobie, sondern auch über Abtreibung und sexuelle Gewalt sprechen oder dass der Frauenstreik nicht nur Lohnungleichheit und Belästigung im öffentlichen Raum thematisiert, sondern auch antirassistische, ökologische und antikapitalistische Bewegungen aufgreift. Was die Verbindung zwischen Sexismus und Islamophobie betrifft, so ist sie offensichtlich: Islamophobie ist geschlechtsspezifischer Rassismus. In Belgien und Frankreich sind mehr als 70 Prozent der Opfer von Islamfeindlichkeit Frauen (Collectif pour l'inclusion et contre l'islamophobie en Belgique (CCIB), Rapport d'activité 2020, S. 5; Collectif contre l'islamophobie en France (CCIF), Rapport 2019, S. 9). In der Schweiz zeigt sich ein ähnliches Bild. Es sind die Frauen, die als muslimische Menschen im öffentlichen Raum am sichtbarsten sind, und wie so oft sind sie es, zusammen mit den geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten, die am stärksten von Unterdrückung betroffen sind. Das sieht man übrigens am Erstarken des religiösen Extremismus in den USA und in Europa und dem direkten Angriff auf das Recht der Frauen, über ihren Körper zu bestimmen (Abtreibung).
Islamophobie äussert sich in mehreren Bereichen des Lebens muslimischer Frauen in der Schweiz. Im Zusammenhang mit muslimisch-arabisch klingenden Vornamen/Namen oder der Herkunft sowie den vielen Klischees, Vorurteilen und heftigen Reaktionen, die diese manchmal schon von klein auf hervorrufen, möchte ich ein Beispiel anführen, das sich an einer Genfer Primarschule zugetragen hat: Eine Lehrerin fragt eine Mutter, warum ihre Tochter nur mit Mädchen spiele. Die Mutter antwortet, dass sie es nicht wisse und dass ihre Tochter im Park auch mit Jungen spiele, woraufhin die Lehrerin antwortet, sie habe gedacht, dass sei religiös bedingt. Eine andere Sphäre, in der sich Islamophobie äussert, ist der Gesundheitsbereich, in dem das «mediterrane Syndrom» zu beobachten ist. Dabei handelt es sich um ein rassistisches Stereotyp, das dazu führen soll, dass die Ärzteschaft die Klagen über Schmerzen bei rassisierten Menschen (muslimisch, Schwarz usw.) als übertrieben wahrnimmt. Wegen dieser kognitiven Verzerrung kommt es sowohl bei der Diagnose als auch bei der Behandlung häufig zu Fehlern. Eine weitere unsichere Sphäre für muslimische Frauen ist die Polizei. So bekam eine Frau, die wegen ihres gewalttätigen Ehemanns einen Polizeiposten aufsuchte, zu hören, dass das in ihrer Kultur doch normal sei. Oder die Problematik der Gewalt im öffentlichen Raum: Beleidigungen, Anspucken, Kopftuch herunterreissen (fast schon «normal» geworden, weil Politik und Medien dazu neigen, die Stigmatisierung muslimischer Menschen zu legitimieren) – Gewalt, die nicht ernst genommen wird, wenn ein Opfer es wagt, sich bei den Ordnungshütern zu beklagen. All diese Erfahrungen führen zu einem Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen (Schulen, Spitäler, Behörden, Polizei), das oft zum Schweigen führt und Vermeidungsstrategien erzwingt.
Wir kommen zur Frage des Kopftuchs und des Zugangs zu Arbeit und finanzieller Unabhängigkeit. Im Allgemeinen wird man in der Schweiz sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor darauf verzichten, eine Person, die Kopftuch trägt, einzustellen, um (angesichts der von Politik und Medien verbreiteten islamophoben Stimmung) intern Spannungen und Unzufriedenheit bei den Kunden zu vermeiden. Dies gilt auch für muslimische Unternehmer, die um ihr Geschäft fürchten. Es ist anzumerken, dass einige Grossunternehmen «verschleierte Frauen» einstellen und sich öffentlich für eine Politik der Inklusion positionieren: Das gilt beispielsweise für Ikea (Yannick Weber, 20 Minuten). Im Kanton Genf ist es jedoch aufgrund des Laizitätsgesetzes nicht möglich, mit Kopftuch für den Staat zu arbeiten, wenn man Kontakt mit der Öffentlichkeit hat, auch nicht als Reinigungskraft. Leider hat sich dieser Trend in der Praxis auch auf Stellen ohne Kundenkontakt ausgeweitet.
Dies führt dazu, dass muslimische Frauen schwierige und psychisch belastende Entscheidungen treffen müssen. Einige legen das Kopftuch ganz ab oder fangen gar nicht erst an, es zu tragen (obwohl sie es möchten). Andere wechseln den Beruf, schulen sich um. Einige tragen Kopftuch, nehmen es aber zur Arbeit ab, wobei sich die schwierige Frage stellt, ob sie ihre Arbeitgeber und Kollegen darüber informieren, dass sie ausserhalb der Arbeit Kopftuch tragen, was mitunter zu zwiespältigen Gefühlen führt. Wieder andere wechseln während des Studiums den Studiengang, auch weil es sehr schwierig sein kann, eine Praktikumsstelle zu bekommen und damit das Studium abzuschliessen. Einige geben die Hoffnung auf Arbeit ganz auf. An dieser Stelle muss gesagt werden, wie schwierig es für Frauen ist, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen, wenn der Weg zur finanziellen Unabhängigkeit so kompliziert ist.
Und wie steht es um den Zugang zum Sport, einem der Grundpfeiler für Wohlbefinden? Auf der einen Seite gibt es Sportverbände wie den Basketballverband, die das Kopftuch verbieten, sowie zahlreiche Schwimmbäder und Badeanstalten, die den Burkini nicht zulassen. Dabei tragen Sport und Schwimmen zum Wohlbefinden bei, und es gibt hygienische, zugelassene, sichere Bekleidungsstücke, die den Körper bedecken. Aus welchem Grund werden muslimische Frauen dann daran gehindert, ins Schwimmbad zu gehen und Sport zu treiben? Woher kommt diese Besessenheit für den Körper von Musliminnen, und noch weiter gefasst, für den Körper der Frau?
«Lass mein Kopftuch los, du erstickst mich», einer der Slogans der Foulards Violets am Frauenstreik vom 14. Juni 2019, fasst die Gefühle vieler muslimischer Frauen in der Schweiz sehr gut zusammen. Schwierigkeiten beim Zugang zu Arbeit, Umschulungen, Stress, erhöhte Wachsamkeit in vielen Lebensbereichen, selbst in der Freizeit, keine Stimme in den Medien und der Politik, zu Objekten degradiert, die mal unterwürfig, mal gefährlich sind, die eigene Individualität verleugnen, als monolithischer Block wahrgenommen, der nicht in der Lage ist, eigenständige Entscheidungen zu fällen. Was soll man dazu sagen? Natürlich überleben sie, sie lachen und leben, studieren und arbeiten manchmal auch. Aber wie viele Strategien braucht es, um bis dahin zu kommen? Wie viele Träume werden begraben? Und was ist mit denen, die es nicht schaffen? Ich für meinen Teil glaube, dass es Lösungen gibt, und ich glaube an das Bündeln der Kämpfe, um eine kollektive Antwort gegen Diskriminierung und für ein gleichberechtigtes Glück zu geben.
Bibliografie:
Rémi Bachand, «L’intersectionnalité: dominations, exploitations, résistances et émancipation», Politique et Sociétés, Band 33, Nr. 1, 2014, S. 3–14, 16. Juni 2014
Yannick Weber, «Ikea au cœur d’un échange d’insultes autour de l’islam», 20 Minutes, 3. février 2020