Itziar Marañón war bis Mai 2022 Projektleiterin und stellvertretende Leiterin der Fachstelle für Migrations- und Rassismusfragen der Stadt Bern. fmr@bern.ch
Das Interview führte Theodora Peter
Die Stadt Bern macht seit 2021 den strukturellen Rassismus zum Thema ihrer Aktionswochen – dieses Jahr unter dem Motto «Rassismus schliesst Türen. Öffnen wir sie.» Im Gespräch zieht Projektleiterin Itziar Marañón Bilanz.
Die Stadt Bern widmet ihre Aktionswoche gegen Rassismus in den Jahren 2021-2023 dem Thema struktureller Rassismus. Weshalb?
Nach über zehn Jahren war die Zeit in Bern reif dafür. Wenn sich eine Institution oder Gruppe mit dem Thema Rassismus auseinandersetzt, ist es am Anfang einfacher, sich mit Alltagsrassismus zu befassen. Doch im Laufe der Jahre entstanden in Bern immer mehr Projekte, die sich sehr intensiv und reflektiert mit dem Thema beschäftigen. Auch innerhalb der Verwaltung ist es wichtig, dass das Thema ebenfalls auf einer strukturellen Ebene diskutiert und institutioneller Rassismus bekämpft wird.
Wie haben Sie das abstrakte Thema konkret umgesetzt?
Wir haben uns bewusst auf die Wirkung von strukturellem Rassismus fokussiert. Welche konkreten Folgen hat er für die Menschen? Mit dem Slogan «Rassismus schliesst Türen» wollten wir aufzeigen, dass es um Chancengerechtigkeit geht – einem wichtigen Grundsatz in der Demokratie. Struktureller Rassismus führt dazu, dass nicht alle die gleichen Chancen haben. Wir wollten aber nicht eine deprimierende Botschaft aussenden und haben den Slogan der geschlossenen Türen deshalb mit einem zweiten Satz ergänzt: «Öffnen wir sie.» Wenn wir die Ausschlussmechanismen des strukturellen Rassismus sicht- und erkennbar machen, dann können wir an Lösungen arbeiten und die verschlossenen Türen öffnen. Bei der Ausschreibung der Aktionswoche gaben wir Beispiele und unterstützen Leute, die Eingaben machten, auch mit Beratung. Das ist ein aufwändiger Prozess, der sich aber lohnt.
Können Sie uns ein paar Beispiele der zahlreichen Aktivitäten geben?
Hervorzuheben ist, dass von Rassismus betroffene Menschen in den letzten Jahren eine immer prominentere Rolle spielten – sowohl bei der Vorbereitung wie auch der Durchführung der Aktionswoche. Häufig ist bereits die Vorbereitung ein Empowerment-Prozess. Das gibt den Veranstaltungen enorm viel Kraft und Glaubwürdigkeit. Über die Aktionswoche hinaus gab und gibt es in Bern viele gute Projekte – etwa der Workshop über gerechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder das «Café révolution» - einer von Schwarzen Feministinnen lanciertem Begegnungsort. Das Projekt «Living Room» wiederum ist ein Raum, der sich stark mit Kunst und Rassismus sowie dem kolonialen Erbe befasst. Zum Beispiel zur Frage, wie Museen einen rassismuskritischen Zugang erreichen können. In Bern West wiederum, einem Stadtteil mit einem hohen Migrationsanteil, befassen sich Eltern in einer Arbeitsgruppe mit der Diskriminierung in der Schule.
Wie nachhaltig ist die Aktionswoche gegen Rassismus?
Mit der Aktionswoche bekennen sich die Behörden offiziell zur Bekämpfung des Rassismus. Das ist eine sehr wichtige Botschaft. Zudem bietet die Woche eine Plattform, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wichtig finde ich, dass die Aktionswoche auf vielen unterschiedlichen Ebenen agiert. Auch fördern wir die Vernetzung der Teilnehmenden mit einer Kick-Off-Veranstaltung. Die Aktionswoche gegen Rassismus, die seit 2011 existiert, hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, dass es in der Stadt Bern inzwischen so viele Initiativen und Projekte gibt.
Wo gibt es Potenzial zur Weiterentwicklung?
Es ist wichtig, dass die Bekämpfung des Rassismus innerhalb der Strukturen und der Verwaltung nicht als ‘nice to have’ sondern als ‘Must’ verstanden wird. Zwar haben wir es geschafft, dass alle das Thema wichtig finden. Doch ohne personelle und finanzielle Ressourcen ist eine Umsetzung nicht möglich. Es braucht nebst Leuten, die ‘pushen’, auch den politischen Willen, dass sich alle damit beschäftigen müssen. Ansonsten sind Veränderungen zu stark vom Engagement Einzelner abhängig. Wenn diese sensibilisierten Personen dann nicht mehr da sind, fängt alles wieder von vorne an. Es braucht in den Institutionen eine Arbeitskultur, welche die rassismuskritische Perspektive verankert. Dafür braucht es Ressourcen.
Welche Empfehlungen sind Ihnen persönlich wichtig?
Das Thema Rassismus macht viele Menschen unsicher und verursacht Unbehagen. Es ist wichtig, sich offen und ehrlich mit dem Thema zu beschäftigen. Das ist ein Lernprozess: Man darf Fehler machen und sollte nicht zu streng zu sich selber sein. Entscheidend ist, aus Fehlern zu lernen. Wir brauchen Offenheit, aber auch den Optimismus, dass wir die Dinge weiterentwickeln können. Was ich auch noch sagen möchte: Ohne Antirassismus gibt es keine gerechte Gesellschaft. Und ohne Antirassismus ist keine Integration möglich.