Samuel Jordan
Mit Comics, einem oft unterschätzten literarischen Genre, lassen sich nicht nur wunderbar Geschichten erzählen, sie eignen sich auch hervorragend, um historische Ereignisse neu aufzurollen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Capitão, erschienen 2019 bei Éditions Antipodes. In diesem sorgfältig ausgeführten Werk beleuchten die Autoren Yann Karlen und Stefano Boroni die unbekannte Rolle der evangelisch-reformierten Westschweizer Mission in Afrika im 19. und 20. Jahrhundert.
Wir wissen es: Mit der Kolonisation verfolgte Europa zwei Ziele: die materielle Eroberung und die geistige Unterwerfung. Indigene Gebiete wurden in Besitz genommen und die kolonisierte Bevölkerung durch westliche Kirchen im Sinne der jüdisch-christlichen Zivilisation bekehrt. Capitão zeichnet diese Eroberung des Geistes nach. Inspiriert von Biografien evangelischer Missionarinnen und Missionare erforscht die literarische Fiktion die missionarische Vergangenheit der Schweiz im Südlichen Afrika. Sie erinnert daran, dass die Schweiz – auch wenn sie nie Kolonien besessen hat – an der Unterdrückung eines Erdteils beteiligt war. Wir lesen eine Geschichte, die im kolonialisierten Mosambik während der Besetzung durch die portugiesische Krone und die katholische Kirche spielt. In dieses feindliche Umfeld schickt die Waadtländer Freikirche ab 1870 ihre Missionarinnen und Missionare.
Die Westschweizer Mission wächst und zählt Ende des 19. Jahrhunderts dreizehn missionierende Paare und sechs Hilfsmissionarinnen an sieben Standorten von Mosambik bis Südafrika. Es sind hauptsächlich Intellektuelle und Gelehrte, insbesondere aus Medizin und Agronomie, angetrieben von der doppelten Absicht, den christlichen Glauben zu verbreiten und ihr Wissen zu teilen. Die reformierten Religionsbringer sehen sich allerdings mit dem Misstrauen der katholischen Besetzer konfrontiert. Und sie beobachten das rigide koloniale Regime und die internen Kämpfe der lokalen Bevölkerung genau.
Einige der Missionarinnen und Missionare nutzen ihre Aussenseiterrolle und schaffen nachhaltig Vertrauen zwischen den verfeindeten Gruppen. Georges-Louis Liengme etwa wird Hofmediziner von König Gungunhana. Henri Alexandre Junod trägt mit seinen Schriften, die zur wissenschaftlichen Referenz werden, zum Wissen über die Zivilisation von Mosambik bei. André Clerc wiederum setzt sich für den jungen Eduardo Mondlane ein und bezahlt dessen Studium. 1962 wird der intellektuelle Mondlane zum ersten Präsidenten der Mosambikanischen Befreiungsfront. In den Augen der portugiesischen Krone allerdings steht die Westschweizer Mission der kolonisierten Bevölkerung zu nahe: Sie wird schliesslich aus Mosambik ausgewiesen.
Die in Schwarz-Weiss skizzierte Geschichte beginnt in einer Taverne in Maputo: Ein verwirrter Schweizer Missionar erzählt dem äusserst interessierten Kellner aus seinem Leben. Der betrunkene alte Mann ist ein Schatten seiner selbst: Seinen Glauben und das Vertrauen in die Menschheit hat er verloren. Es folgt ein überraschendes Patchwork, das in einer allegorischen, lyrischen Erzählung vor allem menschliche Begegnungen und weniger eine aufgezwungene Evangelisierung zeigt. Wie der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto sagt, gelingt es Capitão, diesen Teil der Erinnerung festzuhalten: «Man versucht heute, eine vereinfachte, manichäische Betrachtung der Kolonialgeschichte durchzusetzen. Diese Betrachtungsweise macht in Europa die kollektive Schuld leichter, während sie in Afrika den lokalen Eliten dazu dient, einen Opferdiskurs aufrechtzuerhalten und die Verantwortung von sich zu weisen.»
Zur Vertiefung der Thematik enthält die Ausgabe ein erklärendes Zusatzheft, das auch die Schattenseiten der Westschweizer Mission nicht auslässt.
> Yann Karlen/Stefano Boroni, Capitão, Editions Antipodes.