TANGRAM 48

Hass und Polarisierung die Stirn bieten

Autorin

Monica Cantieni schreibt Kurzgeschichten und Romane. Sie ist zusammen mit Bettina Spoerri Initiantin der Lesereihe «Mensch sein – Being Human: Autor*innen gegen Hass». www.monicacantieni.com

Unter dem Motto «Mensch sein» engagieren sich Schweizer Autorinnen und Autoren gegen Hass, Antisemitismus und Rassismus – mit differenzierten Texten und einer Lesereihe, die sich der Menschlichkeit in all ihren Facetten widmet.

Der 7. Oktober 2023 stellte eine Zäsur dar, wenn es um Ausmass und Bewertung von Gewalt geht. Das Massaker der Hamas an israelischen Zivilpersonen, das blindwütige Morden, die Verschleppungen von Kindern, vergewaltigten Frauen, älteren Menschen und schwer verletzten Männern zeugten von abgrundtiefem Hass. Die Interviews mit verhafteten Hamas-Terroristen, die ihren Blick nie in die Kamera hoben und die die Verantwortung für ihre Taten auf ihre Vorgesetzten schoben, machten sprachlos. Auf die vielfach geteilten Bilder folgten erschreckenderweise auch Solidaritätsbekundungen für den Terrorakt.

Bestürzend auch die Bilder von Menschen verschiedenster Couleur, die auf den Strassen den Terrorakt der Hamas feierten. Europaweit und in den USA. Bestürzend die Aufrufe zu Gewalttaten gegen jüdische Menschen auf rechtsradikalen Telegramkanälen, was bis anhin ohne rechtliche Folgen geblieben ist, sowie die tätlichen Übergriffe, die sich in den vergangenen Monaten häuften.

Bestürzend, aber auch die immens hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung in Gaza, darunter viele Kinder. Bestürzend der Umstand, dass den Überlebenden mittlerweile keine Infrastrukturen mehr bleiben, dass Krankenhäuser, Schulen und Universitäten zerstört sind, der Zugang zu Lebensmitteln und Wasser, Internet und gesicherten Informationen extrem limitiert ist. Bestürzend die hohe Zahl von Medienschaffenden, die in der Region ihr Leben verloren.

Ebenso bestürzend, die mit Händen greifbare Verunsicherung bei Jüdinnen und Juden weltweit. Auch bei Menschen nicht weisser Hautfarbe, anderer Herkünfte und Religionszugehörigkeiten oder in der queeren Community. Im digitalen Raum wie auf der Strasse sind die Stimmen überwiegend laut und schrill. Mitgefühl – für alle Opfer des Konflikts – oder Differenziertheit im Gespräch sucht man vergeblich.

In Deutschland regten sich bald kritische Stimmen gegen die Hetze. Hier in der Schweiz blieb es weitgehend still. Wir blieben still; auch wir Autorinnen und Autoren, die wir dem Wort verpflichtet sind. Die Stille war keine angenehme. Wir beide fanden, dass sie nicht angebracht ist. Uns jedoch in dieses Schlachtgetümmel undifferenzierter Meinungsäusserungen zu mischen, kam für uns nicht infrage. Wir beschlossen, mit unseren Mitteln vorzugehen: mit sprachlichen, mit literarischen.

Texte brauchen Zeit; dringend benötigte Zeit, um das zur Sprache zu bringen, was allen Täterinnen und Tätern gemein ist: Hass. Hass in seiner Vielfalt. Ob als Hetze, ob als Diffamierung, Beleidigung oder Beschimpfung, ob über digitale Kanäle oder analog, ob als Schmiererei an Wänden, Drohung oder im schlimmsten Fall: als Tat.

Dieser Hass, dem die Reduktion eines Menschen auf seine Religionszugehörigkeit, seine sexuelle Ausrichtung, seine Hautfarbe oder Herkunft in die DNA geschrieben ist, beraubt ihn seiner Würde, stellt seine Existenzberechtigung in Frage oder verweigert sie ganz. Hass ist zutiefst antidemokratisch und in nicht wenigen Fällen strafrelevant.

Das Projekt «MENSCH SEIN