TANGRAM 35

«Wir? Wir sind nicht rassistisch, aber …»

Zusammenfassung des Artikels
«Noi? Non siamo razzisti, però…» (italienisch)

Autorin

Raffaella Brignoni studierte Politikwissenschaften und arbeitet als freie Journalistin.
raffaella.brignoni@areaonline.ch

Wie nehmen junge Tessiner Rassismus wahr? Der 21-jährige Student Nicola sagt, man sei zwar dazu erzogen worden, andere nicht nach ihrer Nationalität oder ihrer Religion zu beurteilen, und man bezeichne sich selber als nicht rassistisch. Doch bei negativen Vorkommnissen im Zusammenhang mit Personen aus anderen Kulturen assoziiere man dies im ersten Moment trotzdem mit der Staatsangehörigkeit oder der Religion. Und er fügt hinzu: «Ich denke, Rassismus entsteht aus der fehlenden Kenntnis des Fremden». Für Nicola ist ein friedliches Zusammenleben daher nur möglich, wenn man einander kennt. Sein 25-jähriger Cousin Michele ist Finanzberater und er denkt völlig anders über das Zusammenleben: «Wer in die Schweiz kommt, muss unsere Sitten und Gepflogenheiten respektieren, anders kann er sich nie integrieren. Ich sehe nicht ein, weshalb die Anpassung von den Einheimischen ausgehen soll». Laut den beiden Interviewten ist der Rassismus bisweilen auch eine Reaktion auf die hitzige Debatte über die Fremdenpolitik. Nicola meint: «Ich glaube, dass eine gewisse Art von demagogischer Politik nach und nach das Verhalten gegenüber den Minderheiten beeinflusst». Dem widerspricht Michele: «Wir haben zu viele Ausländer, die uns Probleme machen».

Die Meinung von nur zwei Personen ist gewiss nicht repräsentativ. Das Interview kann nur als journalistischer Beitrag zur Frage der Wahrnehmung von Rassismus durch junge Erwachsene gewertet werden. Es ist aber trotzdem interessant, ihre Antworten mit den Ergebnissen der Studie «Zusammenleben in der Schweiz 2010–2014» zu vergleichen, die im vergangenen Februar von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung vorgestellt wurde und den Ausgangspunkt eines zweijährlichen Monitorings bildet, das 2016 aufgenommen wird. In der Befragung treten in der Tat die gleichen Ängste und stereotypen Bilder auf wie im Gespräch mit Nicola und Michele.