TANGRAM 35

«Wenn man ausgegrenzt wird, hat man kein Zuhause mehr»

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Urs Güney hat Germanistik studiert und ein Praktikum bei der Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB absolviert. Ausserdem schreibt er als freier Journalist für NZZ Campus und andere Publikationen.
urs_gueney@gmx.ch

Sechs junge Erwachsene treffen sich am Gewerblich-industriellen Bildungszentrum in Zug zum Gespräch über Rassismus und Vorurteile: Welche Rolle spielen Diskriminierungen in ihrem Alltag und was kann dagegen getan werden? Die 19- bis 20-Jährigen absolvieren alle eine Lehre. Marijana, Martina und Nahla sind künftige Fachfrauen Gesundheit, Alessio, Kim und Martin lassen sich zu Informatikern ausbilden.

Kommt Rassismus in eurem Alltag vor?

Nahla: An einem Vorstellungsgespräch wurde ich einmal gefragt, ob meine Eltern vor dem Krieg eingewandert sind oder danach. Die Frage fand ich unangebracht. Ich habe in dem Moment verstanden, dass ich in dem Betrieb nichts verloren habe.

Alessio: Beim Fussball bin ich Rassismus schon begegnet – wenn etwa Bananen nach dunkelhäutigen Spielern geworfen werden.

Marijana: Von manchen Clubs weiss man, dass Albaner dort nicht willkommen sind. Abgewiesen werden sie mit dem Argument, dass zum Beispiel der Dresscode nicht stimme.

Kim: Es gibt aber auch Clubs, wo sich einzelne Gruppen unter sich treffen. Die Serben lassen keine Albaner rein und die Albaner keine Serben. Das ist vielleicht noch wegen dem Krieg, viele können aber auch über solche Grenzen hinweg befreundet sein.

Marijana: Zum Teil haben die Eltern noch stärkere Vorbehalte. Für mich spielt es keine Rolle, ob jemand Serbe oder Bosnier oder Shipi ist. Aber meine Eltern sehen das weniger locker.

Woher kommen die Vorurteile?

Martin: Entscheidend ist vermutlich, was man in den ersten Lebensjahren kennengelernt hat.

Martina:Die Menschen sind aber offener geworden. Ich denke, dass Probleme mit Rassismus früher grösser waren.

Alessio: Trotzdem verbreiten manche Politiker rassistische Ansichten. Was man vor den Abstimmungen zur Beschränkung der Einwanderung gehört hat, war für Ausländer, die schon hier leben, sicher nicht angenehm.

Nahla: In den Nachrichten wird jetzt viel über den Islam berichtet. Im Betrieb spürt man das dann auch. Patienten sagen: «Sie kommen doch aus dieser Religion.» Dann wird man mit Extremisten in einen Topf geworfen.

Martina: In der Schule gab es oft Auseinandersetzungen zwischen Schweizern und Leuten aus den Balkanländern. Als diese wegen dem Krieg hierher kamen, war es für die Schweizer etwas Neues, mit dem sie sich erst zurechtfinden mussten.

Marijana: Wer vor Krieg flüchtet, hat es schwer hier. Integration ist nicht einfach, wenn man ausgegrenzt wird.

Wie kann man auf Vorurteile reagieren?

Nahla: Es schlägt auf die Stimmung. Ich frage mich immer, ob ich jetzt etwas sagen soll, wenn ich auf Vorurteile stosse. Oft lasse ich es bleiben und gehe lieber auf Distanz.

Kim: Durch den Rassismus entsteht eine Kluft. Man grenzt sich immer mehr von einander ab und giesst noch mehr Öl ins Feuer. Das ist ein Kreislauf.

Marijana: Wenn man ausgegrenzt wird, hat man kein Zuhause mehr. Man ist in der ursprünglichen Heimat ein Ausländer und auch in der Schweiz.

Kim: Meine Mutter kommt aus Thailand. Die einen betrachten mich als Schweizer, die andern als Thailänder, aber irgendwie stehe ich immer dazwischen.

Wo seht ihr die grössten Probleme in der Schweiz? Wer ist besonders von Rassismus betroffen?

Marijana: Moslems werden Opfer der Terroristen. Viele Menschen haben heute schon Angst, wenn sie jemanden mit Vollbart auf der Strasse sehen.

Martina: Asylsuchende werden auch häufig Opfer. Sie möchten Unterschlupf hier, aber werden nicht von allen akzeptiert.

Marijana: Das Problem ist, dass immer von ein paar schlechten Beispielen auf die ganze Gruppe geschlossen wird.

Mit welchen Orten verbindet ihr das Thema?

Martina: In der Stadt ist man an verschiedene Nationalitäten gewöhnt. Im Dorf bleiben Schweizer eher unter sich.

Marijana: Der Arzt, der 1972 meine Mutter zur Welt gebracht hatte, war aus Afrika. Meine Grossmutter hatte Angst vor ihm und wollte ihm meine Mutter nicht in die Hände geben. Das war damals noch so ungewohnt in Bosnien.

Kim: Als meine Eltern im Dorf meiner Mutter geheiratet haben, wollten alle meinen Vater anfassen, weil sie noch nie einen Mann bleich wie Käse gesehen haben.

Was kann man gegen Rassismus tun und wer sollte etwas unternehmen?

Nahla: In den Medien wird vieles vereinfacht dargestellt. Dadurch werden Ängste geschürt.

Kim: Ja, jeder nutzt schlimme Ereignisse für die eigene Propaganda. Und in der Zeitung Blick wird richtig gegen Völker gehetzt. Von da verbreiten sich dann die Vorurteile.

Marijana:Strafen und Bussen nutzen auch nicht dagegen. Das steigert nur noch den Hass, wenn man auch noch wegen dem bezahlen muss, den man ohnehin nicht leiden kann.

Martina: Es würde viel helfen, wenn wir alle zusammen offener und die Leute so akzeptieren würden, wie sie sind.

Nahla: Das wird sich ändern. Wir Jungen von heute sehen es anders und haben mehr Verständnis. In 20 Jahren wird es bestimmt nochmals offener sein.

Kim: Ich kenne einen Schweizer, der mit Albanern zusammen aufgewachsen ist. Er spricht sogar selbst albanisch. Andererseits habe ich einen türkischen Kollegen, der sich wie der grösste Bünzli-Schweizer verhält. Er ist sogar in der freiwilligen Feuerwehr. Heute ist vieles möglich.

Könnt ihr denn selbst etwas gegen Rassismus tun?

Marijana: Ich wehre mich dagegen, wenn mich jemand auf diese Art beleidigt. Sich für andere einzusetzen, empfinde ich als schwieriger. Wo soll man einschreiten und wo greift man in die Freiheit der andern zu stark ein?

Mahla: Ich lasse mir Vorurteile nicht gefallen, aber diskutiere nicht viel darüber, sondern setze für mich einfach einen Punkt.

Martin: Wenn ich höre, wie jemand unter die Räder kommt, frage ich nach den Gründen für die geäusserten Meinungen. Das gibt manchmal tolle Gespräche, wenn die Leute selbst nicht mehr erklären können, warum sie ein bestimmtes Bild im Kopf haben. Manchmal wird auch klar, dass sie es völlig unreflektiert irgendwo übernommen haben.

Wie schätzt ihr das Zusammenleben in der Schweiz insgesamt ein?

Nahla: Vieles funktioniert gut, aber in der Schule sehe ich auch, wie sich Gruppen nach Herkunft aufteilen. Andererseits kenne ich viele gemischte Kollegengruppen, die miteinander ausgehen.

Kim: Wir sind im Kollegenkreis alles durcheinander – Serben, Shipi, Kroaten, Türken, Asiaten und Schweizer – wenn du offen bist und keine Vorurteile hast, geht das gut. So funktioniert Integration.

Alessio: In unserem Betrieb arbeiten viele verschiedene Nationalitäten, aber schliesslich geht es nur um die Arbeit. Da kommt man gut miteinander aus. Auch in den Pausengesprächen denken eigentlich alle ähnlich und verstehen sich gut.

Martin: Angefangen hat es mit Unwissenheit – heute haben wir das Internet, jetzt wissen wir alles. Und über das Internet geht es überall hin. Das macht es einfacher. Man kennt einen Youtuber von hier oder dort und denkt dann «Hey, ihr dort in diesem Land, ihr habt aber noch coole Youtuber.» Das Internet bringt die Welt in Ordnung.