TANGRAM 43

Die Entente am rechten Rand. Im Namen der Meinungsäusserungsfreiheit gegen die Rassismus-Strafnorm

Autor

Damir Skenderovic ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg.
damir.skenderovic@unifr.ch.

Vor der Abstimmung zur Rassismus-Strafnorm 1994 stellten die Gegner die Frage der Meinungsäusserungsfreiheit in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Damit schufen sie die Grundlage für eine vielfältige und umtriebige Allianz am rechten politischen Rand. Ihre Behauptung, es handle sich um ein «Maulkorbgesetz», fand bei der Volksabstimmung eine bemerkenswerte Resonanz: 68 Prozent der Nein-Stimmenden gaben damals an, dass die Meinungsäusserungsfreiheit mit der Strafnorm nicht mehr gewährleistet sein werde und die Gefahr bestehe, wegen kritischen Äusserungen als Rassist eingeklagt zu werden.

In den späten 1980er-Jahren erlebte der Rechtsextremismus in der Schweiz einen bedeutenden Aufschwung und sorgte mit rassistischen Bekundungen und gewalttätigen Übergriffen für öffentliches Aufsehen. Vor diesem Hintergrund mehrten sich politische Vorstösse, die eine konsequente Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus forderten. Dazu gehörte der lange hinausgezögerte Beitritt der Schweiz zur UNO-Konvention gegen die Rassendiskriminierung und die Einführung einer entsprechenden Gesetzgebung. Der Bundesrat betonte in den Beratungen, das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit werde in den gesetzgeberischen Massnahmen gebührend berücksichtigt. Die grosse Mehrheit des Parlaments war sich einig, dass die freie Meinungsäusserung dort ihre Grenzen habe, wo Rassismus zum Ausdruck komme und dadurch die Grundrechte Dritter beeinträchtigt werden. Für die Gegner der Rassismus-Strafnorm war hingegen die Abschaffung des «freien Denkens und Redens» der Kernpunkt des Gesetzes.

Die extreme Rechte als Vorreiterin

Bereits früh sagte die extreme Rechte der Gesetzgebung gegen Rassismus den Kampf an. Sie befürchtete, mit der neuen Strafnorm würde die staatliche Repression gegen ihre Propaganda und Aktivitäten zunehmen. Im Herbst 1988 organisierte die rechtsextreme Dachorganisation Nationale Koordination eine Versammlung, an der über Strategien und Allianzen einer Gegenkampagne diskutiert wurde. Man hoffte, insbesondere die rechtspopulistischen Splitterparten von der Notwendigkeit eines Referendums gegen ein allfälliges Gesetz überzeugen zu können.

Federführend beim Widerstand der extremen Rechten war Gaston-Armand Amaudruz, der den Ausdruck «loi muselière» (Maulkorbgesetz) prägte und zur Überraschung vieler mit seiner Postille «Courrier du Continent» zur Teilnahme am Vernehmlassungsverfahren eingeladen worden war. Amaudruz gehörte zu den zentralen Figuren des europäischen Rechtsextremismus der Nachkriegszeit und genoss unter der jungen Generation von Rechtsextremen in der Schweiz als «graue Eminenz» grosses Ansehen. Auch die international stark vernetzten Schweizer Negationisten engagierten sich früh gegen die Gesetzgebung gegen Rassismus und verschickten hetzerische Schriften an Journalisten und Politiker, in denen sie ihr Eintreten für die Meinungsäusserungsfreiheit als Deckmantel für die Leugnung und Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus und insbesondere der Shoah benutzten.

Radikale Kritik der rechtspopulistischen Splitterparteien

In der Ende 1989 eröffneten Vernehmlassung sprachen sich die meisten Kantone, Parteien und Interessengruppen für den Beitritt zur UNO-Konvention und die Einführung der Rassismus-Strafnorm aus. Auf strikte Ablehnung stiessen die Vorlagen bei der Nationalen Aktion (NA), welche durch die Gesetzgebung gegen Rassismus die «Grundidee des Liberalismus» beeinträchtigt sah. Nachdem der Kommunismus überwunden worden sei, so die NA in ihrer Stellungnahme, komme es nun zur Etablierung eines «neuen Totalitarismus». Wenn sich das «Maulkorbgesetz» durchsetze, werde es laut der NA keine «freie Meinungsäusserung» mehr geben, denn «bestimmte Meinungen würden strafbar».

Auch in der Nationalratsdebatte im Dezember 1992 wehrten sich die Schweizer Demokraten, wie sich die NA nun nannte, zusammen mit der Lega dei Ticinesi und der erstmals im Nationalrat vertretenen Autopartei Schweiz (APS) gegen die Konvention und die neue Strafnorm. Mit Nachdruck verwiesen sie auf die Einschränkung der freien Meinungsäusserung in Fragen der Migration und des Asylwesens. So warnte APS-Nationalrat Jürg Scherrer, den Schweizern werde «ein Maulkorb umgebunden», indem «Unmutsäusserungen über den Asylmissbrauch in Zukunft strafbar» sein würden. Es seien vor allem «linke Kreise, die Kritiker der verfehlten Asylpolitik mundtot» machen wollten.

Ausserparlamentarische Akteure als zentrale Opposition

Trotz ihrer vehementen Kritik waren die rechtspopulistischen Splitterparteien nicht bereit, das Referendum zu ergreifen. So formierten sich eine Reihe ausserparlamentarischer Komitees, die den Lead in der Unterschriftensammlung und Abstimmungskampagne übernahmen. Besonders vernetzt und aktiv war das im Sommer 1993 gegründete Komitee Aktion für Meinungsäusserung – Gegen Rassismus und UNO-Bevormundung rund um den Verschwörungspropagandisten Emil Rahm. Im Bulletin «Freie Meinungsäusserung» wurde lamentiert, die Befürworter der Strafnorm würden einen «regelrechten Meinungsterror» betreiben, doch es sei klar, dass die Schweiz kein «Maulkorbgesetz» brauche. Noch einen Schritt weiter ging Walter Fischbacher, bis März 1994 Präsident des Komitees, als er die Rassismus-Gesetzgebung als «katastrophenträchtige Völker-Durchmischungs-Ideologie» bezeichnete, die einem «in progressiven Kreisen geförderten ‚monorassistischen Weltbevölkerungs-Wahn’» entspreche. Fischbacher war Mitglied der FDP und trat auf öffentlichen und parteiinternen Druck im Januar 1995 aus der Partei aus.

Einigen Gegnern der Rassismus-Strafnorm waren die Rhetorik und Mitglieder des Komitees zu radikal. Sie gründeten im September 1993 das Komitee für Freiheit im Reden und Denken, dessen Präsident Herbert Meier mit seiner seit 1964 erscheinenden Zeitschrift «Abendland» zu den früheren Repräsentanten der intellektuellen Neuen Rechten in der Schweiz gehörte. Dem Komitee traten neben Vertretern verschiedener rechtsbürgerlicher und neurechter Vereinigungen auch acht Nationalräte bei. Wie das Komitee betonte, zeige die Rassismus-Strafnorm, wie die Linke sprachlich und ideologisch ihre Hegemonie auszuüben versuche. Mit Begriffen wie «fremdenfeindlich» und «rassistisch» werde eine «eigentliche Hexenjagd» betrieben, so dass bürgerliche oder konservative Ansichten «moralisch ausgegrenzt, verfolgt und ihre Vertreter mundtot» gemacht würden, hiess es etwa im Flugblatt «Antirassismusgesetz – Wehren wir den Anfängen! Gegen Meinungskontrolle und Gesinnungsstrafrecht». Ähnlich argumentierten Vertreter des im Juni 1994 gebildeten Komitees für eine liberale Gesetzgebung, das vor allem aus Mitgliedern der Jungparteien von SVP, FDP und CVP bestand. So warnte der jungliberale Mitbegründer des Komitees und spätere SVP-Nationalrat Gregor A. Rutz an der Albisgüetli-Tagung der Zürcher SVP davor, sich «von linker Seite einen Maulkorb verpassen» zu lassen, denn «wir müssen unsere Meinung offen und ehrlich sagen!».

Signalfunktion der Kampagne

In der Schweiz war die Kampagne gegen die Rassismus-Strafnorm Anfang der 1990er-Jahre das bislang bedeutendste Mobilisierungsereignis am rechten Rand. Mit dem Bedrohungsszenario, die Meinungsäusserungsfreiheit sei in Gefahr, vermochten die Gegner eine Allianz zwischen Vertretern der rechtspopulistischen Parteien, der Neuen Rechten und der extremen Rechten zu schmieden. Dabei diente der von der extremen Rechten lancierte Ausdruck «Maulkorbgesetz» als griffige Deutungsformel und das «Recht auf das freie Wort» als diskursive Rechtfertigungsstrategie, um Motive und Argumentationen zu übertünchen, die von migrations- und asylpolitischen Anliegen bis zu verschwörungstheoretischen Phantasien und negationistischen Absichten reichten. Grundsätzlich sprachen die Gegner dem Recht auf Meinungsäusserung grösseres Gewicht zu als dem Grundrecht, dass Menschen nicht diskriminiert werden dürfen und die Würde des Menschen unantastbar ist. Obschon die beteiligten Akteure in der politischen Arena eine Aussenseiterrolle einnahmen, nutzten sie die Möglichkeit der direkten Demokratie. Mit der Referendums- und Abstimmungskampagne gelang es ihnen, ihre Ansichten weit über den begrenzten Kreis von Mitgliedern und Anhängern in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Die Kampagne gegen die Rassismus-Strafnorm hatte eine Signalfunktion. Es wurde eine diskursive Strategie entworfen, die in den folgenden Jahren die Diskussionen um die so genannte Political Correctness prägte. Wie in anderen westeuropäischen Ländern machte auch in der Schweiz der ursprünglich in einem emanzipatorischen Kontext in den USA entstandene Begriff einen grundlegenden Bedeutungswandel durch. Political Correctness entwickelte sich zu einem Kampfbegriff, mit dem wie in der Kritik an der Rassismus-Strafnorm das Recht auf Meinungsäusserung in Debatten um Migration, Rassismus, Gender und Menschenrechte instrumentalisiert wurde, um die angebliche linke Diskursmacht als aufoktroyiertes Denk- und Redeverbot zu denunzieren und ausgrenzendes und diskriminierendes Sprechen zu legitimeren.

Bibliografie:

Eidgenössisches Komitee «Ja zum Antirassismus-Gesetz» (Hg.): Pressedokumentation. Gegner des Antirassismusgesetzes I und II, Zürich 1994.

Niggli, Peter; Frischknecht Jürg: Rechte Seilschaften. Wie die «unheimlichen Patrioten» den Zusammenbruch des Kommunismus meisterten, Zürich 1998.

Schloeth, Daniel: Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 25. September 1994, VOX Nr. 54, Adliswil, Bern 1994.

Skenderovic, Damir: The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945-2000, New York, Oxford 2009.