Autorin
Angélique Duruz ist zuständig für die Weiterbildung in der Schweizer Sektion von Amnesty International.
aduruz@amnesty.ch
Sobald die erste Folie der 90-minütigen Präsentation des Workshops «Meine Meinungsäusserungsfreiheit über alles?» auf der Leinwand erscheint, fangen die Schülerinnen und Schüler an zu tuscheln, denn sie merken, dass sie etwas Besonderes erwartet. Die Lektion beginnt mit einer Frage. Die Mutigsten ergreifen das Wort, und eine engagierte Diskussion setzt sich in Gang.
Während 90 Minuten versuchen die Jugendlichen in Gesprächen und mit Hilfe von Fallbeispielen und Erklärungen, die rechtlichen, inhaltlichen und gesellschaftlichen Aspekte der Meinungsäusserungsfreiheit zu verstehen.
Amnesty International wurde 1961 gegründet mit dem Ziel, Menschen zu verteidigen, die wegen ihrer abweichenden Meinungen in Gefangenschaft sassen. Im Lauf der Jahre hat sich der Auftrag von Amnesty auf die Einforderung aller Rechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ausgeweitet. Doch um Rechte zu verteidigen, muss man sie auch kennen. Amnesty besucht auf Anfrage von Lehrpersonen Schulklassen der Sekundarstufen I und II, um diesem Anliegen gerecht zu werden.
Bei den Workshops wird mit drei verschiedenen pädagogischen Ansätzen und mit klar formulierten kognitiven, affektiven und psychomotorischen Zielen gearbeitet. Die Aufklärung über die Menschenrechte (Kopf) soll die Normen und Grundsätze dieser Rechte erklären. Die Aufklärung durch die Menschenrechte (Herz) soll Werte, Haltungen und Verhaltensweisen vermitteln. Die Aufklärung für die Menschenrechte (Hand) unterstützt die Mobilisierung und das Handeln zur Verteidigung und Förderung der Rechte.
So werden die Jugendlichen für die Konzepte der Universalität, Unteilbarkeit, Unveräusserlichkeit und Interdependenz der Menschenrechte sensibilisiert und sie lernen, die Bedeutung der alten Wahrheit zu verstehen: «Die Freiheit eines Menschen endet dort, wo die eines anderen beginnt». Sie erkennen auch, was in gewissen Fällen zu einer Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit führt und wann zu deren rechtmässigen Beschränkung gegriffen werden kann, um die Rechte anderer zu schützen. Auf Wunsch der Lehrperson kann der Workshop auch die rechtlichen Aspekte anhand der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Schweizer Gesetzgebung vertiefen.
Seit 2015 hat die Schweizer Sektion von Amnesty jährlich rund 30 Workshops zum Thema Meinungsäusserungsfreiheit durchgeführt. Laut den Rückmeldungen von Lehrpersonen sowie von Schülerinnen und Schülern führt ein solcher Workshop zu einem besseren Verständnis der Entwicklung der Menschenrechte und deren Bedeutung im Alltag. Für die Jugendlichen ist die Frage, was im Rahmen der Meinungsäusserungsfreiheit insbesondere in den sozialen Medien gesagt und veröffentlicht werden darf und was nicht, von zentraler Bedeutung. Der Workshop soll also dazu beitragen, ihre kritische Haltung zu entwickeln, indem zusammenhängende Themen wie das Recht auf Privatsphäre, die Informations- und Meinungsäusserungsfreiheit oder das Diskriminierungsverbot mit einem transversalen pädagogisch-spielerischen Ansatz behandelt werden.