Rund um die letzte Basler Fasnacht kam es wegen der Rassismus-Kritik am Logo einer Gugge zu einer aufgeheizten Stimmung. Die Reaktionen zeigen zwei Verhaltensmuster: White Privilege und White Fragility. Gemeint ist die Bequemlichkeit, sich über Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Hautfarbe keine Gedanken machen zu müssen und der Reflex, auf entsprechende Kritik mit Abwehr und Wut zu reagieren.
Die Basler Fasnacht ist traditionell ein unbequemer Anlass. Unbequem für die Obrigkeit und alle, die das Pech haben, in nachbarschaftlicher Konkurrenz oder sonst einem Spannungsverhältnis mit «dem Bebbi» zu stehen. Namentlich sind das die Baselbieter, die Elsässer, die Schwoobe oder die Zürcher. Politiker/innen kriegen ohnehin ihr Fett weg. Nach aussen gibt sich der tausendzüngige Bandwurm, als den man den riesigen Umzug aus über 11’000 aktiven Fasnächtler/innen auch bezeichnen könnte, als anarchistisches Monster.
Schaut man aber ins Innere dieser altehrwürdigen Tradition, ist es mit der Anarchie bald vorbei. Die Basler Fasnacht ist ein mit Benimmregeln und Sprachcodes gespicktes Narrenspiel, das sich entlang sichtbarer (man trägt eine Plakette, Besucher/innen verkleiden sich nicht, Schminke im Gesicht ist tabu) und unsichtbarer (es heisst Räppli, nicht Konfetti und Larve, nicht Maske) Leitplanken bewegt. Der Code steht über allem.
Es ist wichtig, auf diese Gleichzeitigkeit von Narrenfreiheit und Regelkorsett hinzuweisen, wenn man über die Ereignisse rund um die Basler Fasnacht 2019 spricht. In dieser Gleichzeitigkeit liegt das Selbstverständnis einer, man muss das so formulieren, Leitkultur, die jederzeit über Inklusion und Ausschluss entscheidet. Die das aber niemals zugeben würde, denn sie versteht sich als liberal oder gar progressiv, als mindestens aufgeschlossen oder offenherzig.
Die «drey scheenschte dääg» sind ein seifiges Terrain. Jeder Witz kann jederzeit nicht so gemeint sein. Und genau das macht die Gemengelage zwischen Fasnacht, Rassimusdebatte und Meinungsfreiheit so kompliziert.
Um zu verstehen, wie es 2019 zu dieser aufgeheizten Stimmung kommen konnte, muss man einige Monate zurückblättern. In den Sommer 2018, als eine Rassismusdebatte in Basel für hässliche Schlagzeilen gesorgt und die Stadt in helle Aufregung versetzte. Damals veranstaltete die Gugge «Negro Rhygass» im Kleinbasel, einem kulturell durchmischten Teil der Stadt, ihr Sommerfest und befestigte über dem Eingang zum Hinterhof ein Banner. Darauf stand: «E nätts Negro-Fescht». Daneben prangte das Logo der Gugge, die Karikatur eines schwarzen Mannes mit den üblichen Attributen: dicke Lippen, grosse Füsse, Bastrock und ein Knochen im Haar. Mehrere Passantinnen und Passanten empfanden das Logo als rassistisch. Und wandten sich mit ihrer Kritik an die Festgemeinschaft vor Ort und an die regionalen Medien.
Die Figur und der Name der Gugge rückten in der Folge ins Zentrum eines veritablen Shitstorms. Die Kritik: Das Logo stelle Schwarze als Primitive dar und sei ein Motiv rassistischer Unterdrückung. Die Gugge und ihre Sympathisanten sowie Politiker/innen und Medienschaffende hielten dagegen. Die Gugge existiere nun mal seit 1927 und berufe sich mit ihrem Wappen auf ein Ereignis ihrer Gründungszeit: die Notlandung des Schweizer Flugpioniers Walter Mittelholzer in Afrika. Die Gugge distanzierte sich von jeglicher Form von Rassismus und beschloss schliesslich auf einer Mitgliederversammlung, das Logo in der Öffentlichkeit nicht mehr einzusetzen.
Aber da hatte sich die Debatte längst verselbstständigt und war in einen «Solidaritätsmarsch» gemündet: 800 Menschen zogen für den Erhalt der Karikatur und die «Meinungsfreiheit» durch die Gassen. Darunter befanden sich auch einige Rechtsextreme, die ihre Gesinnung mit T-Shirts und Tattoos offen zur Schau trugen. Sie wurden geduldet. Hatte Basel, diese liberale, weltoffene, links-grün regierte Stadt, ein Rassismusproblem?
Anders gefragt: Warum fühlte sich eine überwältigende Mehrzahl des Basler Fasnachtsvolks durch die Kritik an Name und Logo dermassen in seiner Identität, in seinem Brauchtum und seiner Tradition verletzt, dass es mit Vehemenz reagierte?
Denn das tat es, ein paar Monate später, an der Fasnacht 2019. Es malte Laternen, auf denen zugenähte Lippen zu sehen waren. Es tanzte im Affenkostüm heran oder verpasste sich das Sujet «Wär het Angst vorem schwarze Maa». Es verkleidete sich als «erhabene, raine, fascht scho gettlige Guetmensch», der auf der Rückseite des Kostüms als «e falschi Schlange» erkennbar wurde. Es dichtete Wortspiele mit «Nigger» und «Niggerli», wie das Nickerchen im Basler Dialekt heisst. Kurz: Es reagierte mit absichtlichem Nichtverstehenwollen, Lächerlichmachen der Rassismuskritik oder Gegenangriffen. Zwischentöne waren da. Man musste sie sehr gut suchen.
Die Reaktionen des Basler Fasnachtsvolks lassen sich unter Gesichtspunkten der Postkolonialismus-Forschung auf zwei Nenner bringen: White Privilege und White Fragility.
Wobei «Privileg» in diesem Kontext eben nichts mit Privilegien wie Reichtum und Luxus zu tun hat, schreibt die Journalistin Reni Oddo-Lodge in ihrem Buch «Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche» (Tropen, 2019). Sondern White Privilege ist die Bequemlichkeit, sich über Diskriminierungserfahrungen aufgrund der eigenen Hautfarbe keine Gedanken machen zu müssen. Und damit über reale Auswirkungen von Witzen und Spott, die auf Hautfarbe abzielen, nicht nachdenken zu müssen.
White Privilege ist in westlichen Gesellschaften «normal» und damit meistens unsichtbar. Aber manchmal blitzt sie auf, wie zum Beispiel im Reflex der Fasnachtsgesellschaft, hinter der Rassismuskritik ein absolutes Redeverbot zu wittern. So hiess es, wenn man auf das N-Wort und die Karikatur verzichte, müsse man bald auch auf traditionelle Figuren wie den Waggis (angelehnt an betrunkene Elsässer), die alte Dame (Sexismus) etc. verzichten, überhaupt dürfe man bald gar nichts mehr sagen. Symbolbild dafür: Die vielen zugenähten Lippen auf den Laternen. Dieser Vergleich lässt ausser acht, dass rassistische Rede an den betroffenen Menschen kleben bleibt wie Pech an den Hacken und eben eine ganz spezifische historische Diskriminierungserfahrung transportiert, die nicht überwunden ist, sondern im Alltag nachwirkt.
White Fragility beschreibt darüber hinaus den Reflex, auf Kritik an der Bequemlichkeit weisser Positionen, also White Privilege, mit Abwehr und Wut zu reagieren. Die Soziologin Robin DiAngelo hat viel zum Thema geschrieben und sagt in einem Interview mit der «ZEIT Campus», wie schwer es sei, mit Weissen, gerade auch mit solchen, die sich selbst als progressiv bezeichnen, über Rassismus zu sprechen. «Der Fragility-Aspekt fängt ein, wie schnell wir ablehnend darauf [auf Kritik] reagieren. Viele Weisse reagieren schon auf die Andeutung, dass Weisssein Bedeutung hat, mit extremer Ablehnung».
Auch dieser Ablehnungsaspekt liess sich an der Fasnacht an einem ganz konkreten Beispiel beobachten. Nämlich dem kollektiven Versuch, den Rassismusvorwurf, der die ganze Debatte ins Rollen gebracht hatte, auf das lästige Aufmucken eines einzelnen Medizinstudenten zu reduzieren.
Es ging bei dieser Anekdote darum, dass ein Medizinstudent das Banner mit dem «Negro-Fäscht» gesehen habe und sich dann mit einem Leserfoto und dem Rassismusvorwurf an die Gratiszeitung «20 Minuten» gewandt habe. Die Zeitung habe die Gugge in der Folge an den Pranger gestellt. Die Version von diesem einzelnen Studenten wurde immer und immer wieder zitiert, in den Medien, in den sozialen Netzwerken, auf zahllosen Zetteln, Reimen und Laternen. Ein wahres Musterbeispiel in Sachen Abwehrreflex.
Denn durch dieses Bild eines einzelnen (Einzelfall, dadurch vernachlässigbar) Studenten (elitär, Bezug zur Realität verloren), der (auch diese Version kursierte) auch noch aus Deutschland stammen soll (ein Ortsfremder, also nicht mit den Codes der Fasnacht vertraut) wurde der Ursprung des Anliegens systematisch bagatellisiert und damit delegitimiert. Dass sich nach dem ersten Medienartikel zahlreiche weitere Betroffene und Solidarische an die Medien wandten, dass es am Rande des Negro-Fäschts auch zu direkten Gesprächen mit den «Negro-Rhygass» und Passantinnen gekommen war: Alles egal.
Was ist nun mit der Erkenntnis gewonnen, dass verbreitete Reaktionsmuster auf die Rassismusdebatte auf White Privilege und White Fragility zurückzuführen sind? Es zeigt, dass die sogenannte Mehrheitsgesellschaft in einer politisch linksgrün dominierten Schweizer Stadt Ressentiments reproduziert, rassistische Sprechweisen adaptiert, damit nach unten tritt und einen breit akzeptierten Ausschluss praktiziert, wenn sie in ihrer bräsigen Selbstverständlichkeit auch nur ein wenig erschüttert wird. Es zeigt, wie unsouverän und kleingärtnerisch, wie engherzig und ängstlich diese Gesellschaft sein muss. Geworden ist? Und ängstlich wovor eigentlich?
Die Verhaltensmuster White Privilege und White Fragility zeigen ausserdem, welche rassistischen Strukturen der Normalität zugrunde liegen. Einer Normalität, die anderswo auch als Leitkultur bezeichnet wird, die unausgesprochenen Konsens darob transportiert, was «man noch wird sagen dürfen», weil «man es schliesslich schon immer so getan hat». Dieser Konsens ist bequem, arrogant und feige. Manche nennen ihn Tradition.
Die Kehrseite von Tradition ist ihre Ausschlussfunktion. Rassismus aber ist keine Tradition, er hat Tradition.