TANGRAM 42

«Betroffene Muslime fühlen sich von den Behörden nicht ernstgenommen».Vier Fragen an Belkis Osman-Besler

Belkis Osman-Besler, muslimische Asylseelsorgerin, ist Vizepräsidentin der Vereinigung islamischer Organisationen in Zürich (VIOZ). b.osman@vioz.ch

Was denken Sie über diesen Satz: «Man kann Schweizer/in, gut integriert und Opfer von Rassismus sein»?

Das kann durchaus zutreffen. Integration heisst nicht, seine Identität wie Religion oder Herkunft zu verleugnen. Aber trotz dieser multiplen Identität ist man ein gut integrierter Bürger dieses Landes. Leider wird dies nicht von allen goutiert. Bei einem rassistischen Vorfall ist nicht von Belang, ob man Schweizer ist oder nicht. Ein Bekleidungsstück oder Aussehen, das nicht ins Schema passt, genügt, um Opfer zu werden. Je nach politischer Lage oder Diskussionsthema kann eine Kleinigkeit dazu führen, dass Integration und Loyalität hinterfragt werden.

Wohin würden Sie sich wenden, wenn Sie Opfer von Rassismus würden?

Wenn es für den Übergriff Beweise gibt, würde ich zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Meist ist es aber so, dass man über keine Beweise verfügt oder diese nicht ausreichen. Zuerst würde ich es den nächsten Angehörigen erzählen. Danach würde ich mich erkunden, an welche Stelle ich mich wenden und was genau getan werden kann. Laut der gfs-Studie (Pilotstudie zu Diskriminierungserfahrungen Muslime in der Schweiz, 2017) reichten nur gerade 19 Prozent der Opfer von rassistischen Hassübergriffen eine Anzeige an. Viele haben das Gefühl, dass sie nicht ernst genommen werden. Die Übergriffe werden bagatellisiert, und man schiebt den Betroffenen gar die Schuld zu. So wird es als Provokation angesehen, wenn eine Frau ein Kopftuch trägt.

Die 81 Prozent, die rassistische Übergriffe nicht zur Anzeige bringen, erleben diese zum Teil so häufig, dass sie Übergriffe als normal ansehen und auf ihre äusserliche Andersartigkeit zurückführen. Doch dies führt zu einer unterschwelligen Frustration, welche die Person in sich trägt. Diese Erfahrungen können auch zum Rückzug aus der Gesellschaft führen mit der Folge, dass die Betroffenen sich auf die eigene Familie oder die ethnische bzw. religiöse Gemeinschaft fokussieren.

Wohin würden Sie sich wenden, wenn Sie Mehrfachdiskriminierung erleben würden?

In diesem Falle würde ich eine Stelle wie die EKR aufsuchen, der ich alle Diskriminierungen melden kann. Im Kanton Zürich gibt es zudem verschiedene Stellen wie die TikK, die bei rassistischen Vorfällen Beratung anbietet. Die meisten Muslime wissen nicht, dass es solche Anlaufstellen gibt. Auch kennen sie die Organisationen nicht, an die sie sich wenden können. Die Beratungsstellen müssen ihre Angebote noch besser kommunizieren.

Im Allgemeinen: kann es Gründe dafür geben, dass sich ein Opfer rassistischer Diskriminierung lieber an eine Beratungsstelle wendet, die nicht Teil der Verwaltung ist?

Dies kann durchaus vorkommen. Ein möglicher Grund ist, dass der Aufwand für die behördliche Bürokratie als zu gross erscheint. Sehr oft werden die Fälle erfasst, jedoch wird nichts Konkretes unternommen. Ausserdem benötigen die Betroffenen oftmals eine Beratung, sei es in Sachen Seelsorge oder bezüglich der Rechtslage. Auch wird oft angenommen, Behörden vertrauten oder glaubten den «eigenen» Leuten mehr als einem «Ausländer». Die Betroffenen fühlen sich von den Behörden nicht ernstgenommen. Auch in der Bevölkerung fehlt das Bewusstsein, dass es zu Übergriffen kommt. Berichtet wird nur über Muslime, die Straftaten begehen, oder über Traditionen, die nicht mit der Mehrheitsgesellschaft übereinstimmen. Nicht sichtbar gemacht wird hingegen, dass ein Grossteil der Muslime Diskriminierung erfährt und oft verbal angegriffen wird.