TANGRAM 42

Wege zur diskriminierungsfreien Gesellschaft. Umsetzung der KIP in den Kantonen grundsätzlich auf Kurs

Autoren

Michele Galizia, Leiter der Fachstelle für Rassimusbekämpfung.
Michele.galizia@gs-edi.admin.ch

Katja Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachstelle für Rassismusbekämpfung.
katja.mueller@gs-edi.admin.ch

Im Rahmen der Kantonalen Integrationsprogramme (KIP) ist die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) zuständig für Entwicklung, Begleitung und Evaluation der Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung. Zusammen mit dem SEM und den Kantonen erarbeitet die FRB Richtlinien und Qualitätsstandards.

Die KIP sind ein Meilenstein für den systematischen, landesweiten Einsatz gegen Diskriminierung. Sie bauen auf der Erkenntnis auf, dass der Schutz vor Diskriminierung und Ausgrenzung integraler Bestandteil der Integrationspolitik ist. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, gegenseitige Achtung und Toleranz sowie chancengleiche Teilnahme von Ausländerinnen und Ausländern sind nur in einer diskriminierungsfreien Gesellschaft zu erreichen.

Nach den KIP 1 (2014-2017) befinden wir uns heute am Anfang der Umsetzungsphase der KIP 2 (2018-2021), und wir bereiten bereits die 3. Phase vor. Denn Integration ist kein zu erreichender Zustand, sondern ein immerzu fortlaufender Prozess. Dies ist umso mehr der Fall in einem Land wie der Schweiz, das sich lange nicht als Migrationsgesellschaft verstehen wollte.

Die KIP beruhen auf einem gemeinsamen Entscheid von Bund und Kantonen, die Kantone sind aber bei der Umsetzung sehr frei. Der Föderalismus ermöglicht es, Vorgehensweisen und Lösungen zu finden, die den Bedingungen vor Ort angepasst sind und lokal getragen werden. Beim Schutz vor Diskriminierung gibt es zwei Ziele:

  • Institutionen der Regelstrukturen sowie weitere interessierte Kreise sind informiert und beraten in Fragen des Diskriminierungsschutzes.
  • Menschen, die aufgrund von Herkunft oder «Rasse» diskriminiert werden, verfügen über kompetente Beratung und Unterstützung.

1. Informieren und sensibilisieren

Der offene und diskriminierungsfreie Zugang zu Dienstleistungen ist Grundbestandteil des gesetzlichen Auftrages der öffentlichen Verwaltung: Dienstleistungen müssen allen in der Schweiz lebenden Menschen in gleicher Qualität offenstehen. Die in der Schweiz lebenden Menschen unterscheiden sich aber, etwa in Bezug auf Geschlecht, nationaler und kultureller Herkunft, sexueller Orientierung, sozioökonomischem Status, Sprache, Alter, Behinderung oder Lebensentwurf. Die öffentliche Verwaltung muss ihre Dienstleistungen dieser vielfältigen Kundschaft zugänglich machen, sie muss befähigt werden, die gesellschaftliche Vielfalt zu berücksichtigen und ihre Angebote fortlaufend anzupassen. Konkret: Mitarbeitende haben sich an den individuellen Voraussetzungen ihrer «Klienten» zu orientieren, einen einfachen und unbürokratischen Zugang zu Dienstleistungen zu schaffen und bei Bedarf Ratsuchende darin zu bestärken, ihren Anliegen selbständig nachzugehen.

Diskriminierungsschutz in Verwaltung und Regelstrukturen kann nicht überall gleichzeitig angegangen werden. Strategisches Vorgehen und langfristige Planung sind gefragt. Um zu überzeugen, muss für jede Institution ein eigener Zugang gefunden werden, damit das Thema als relevant angesehen und die Sensibilisierung als sachbezogen und nutzbringend erlebt wird. Beim Umsetzen der KIP-Ziele setzten die kantonalen Delegierten deshalb eigene strategische Schwerpunkte, um innerhalb der Verwaltung das Thema Diskriminierungsschutz in internen Sitzungen und informellen Begegnungen sichtbar zu machen. Viele, aber noch längst nicht alle Kantone bieten zielgruppenspezifische Weiterbildungen an. Sie suchen nach Wegen, wie Diskriminierungsschutz zu einem selbstverständlichen Teil der verwaltungsinternen Schulungen gemacht werden kann.

Die Herausforderungen der KIP fördern den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen. So haben die Kantone der lateinischen Schweiz einen Leitfaden zur Förderung des Diskriminierungsschutzes in der öffentlichen Verwaltung ausgearbeitet mit Informationen, Tipps und Checklisten zur Erarbeitung einer Sensibilisierungsstrategie. Aktuelle Fragestellungen und praktische Erfahrungen sind zusätzlich im Leitfaden zur Öffnung der Institutionen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung zu finden. Er gibt einen Überblick über die Schlüsselaspekte des Öffnungsprozesses und dient als Leitplanke für die Konzeption einer mehrjährigen Strategie.

Die Massnahmen im Bereich Schutz vor Diskriminierung richten sich ebenso an die Verwaltung wie auch an die breite Öffentlichkeit. Mit gezielten Aktionen und Massnahmen und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regelstrukturen (Einbürgerungsbehörde, Schule, Polizei usw.) werden sowohl diese wie auch die breite Bevölkerung sensibilisiert. Die Kantone fördern deshalb auch Projekte wie die jährlich stattfindende Aktionswoche gegen Rassismus, interkulturelle Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, spezifische Kampagnen und vieles mehr.

Mit den KIP werden zwar spezifische, zusätzlich zu leistende Integrationsmassnahmen gefördert, doch auch diese sollen der Gesamtgesellschaft zugutekommen. Zudem tragen die KIP, indem sie öffentlich und sichtbar den Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt und Diskriminierungsschutz vermitteln, zu einer chancengleichen Gesellschaft und einer diskriminierungsfreien Verwaltung bei.

2. Betroffene beraten und unterstützen

Nebst den KIP fordert auch der Nationale Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus den Auf- und Ausbau von Beratungsstellen für Opfer von Diskriminierung in allen Kantonen. Tatsächlich bestand in gut einem Drittel der Kantone bereits vor 2014 ein Beratungsangebot für Personen, die sich aus rassistischen Gründen diskriminiert fühlen. Diese Kantone haben die bestehenden Massnahmen weiterentwickelt, ausgebaut oder neu ausgerichtet. Die übrigen Kantone errichteten erst mit der Umsetzung der KIP Kompetenzzentren und Anlaufstellen. Sie setzten dabei auf unterschiedliche Strategien: Die Zentralschweizer Kantone entschieden sich beispielsweise für eine von den politischen Gremien beschlossene interkantonale Zusammenarbeit, andere Kantone mandatieren externe Fachstellen oder setzen auf die Vernetzung bestehender Beratungsangebote.

Die Erfüllung des Ziels, Betroffene zu beraten und zu unterstützen, bedarf in den meisten Kantonen aber noch einiger zusätzlicher Anstrengungen. Der Aufbau eines geeigneten Angebotes braucht Zeit, Ausdauer und viel diplomatisches Geschick, um politische Entscheidungsträger/innen zu überzeugen, Partner zu gewinnen, aber auch um die potentiell Betroffenen einzubinden. Das Angebot muss qualitativ hochstehend sein und den spezifischen Bedürfnissen vor Ort gerecht werden. Für die Zielgruppen des Beratungsangebotes sind Niederschwelligkeit, Dolmetscherdienste, flexible Öffnungszeiten und gute telefonische Erreichbarkeit wichtig. Die Beratung muss zudem anonym und kostenlos möglich sein. Regelmässiger persönlicher Kontakt mit Migrationsorganisationen und Schlüsselpersonen fördert die Bekanntheit des Angebotes und das Vertrauen der Zielgruppen.

Ohne angemessene Öffentlichkeits- und Sensibilisierungsarbeit können auch die besten Angebote keine Wirkung entfalten. Dazu braucht es keine teuren Kampagnen. Einfache Flyer, regelmässige Newsletter, Hinweise auf entsprechenden Websites oder Beratungsgespräche können Diskriminierungsangebote bekannt machen. Gleichzeitig muss die Beratungstätigkeit auch dokumentiert werden. Eine geregelte Datenerfassung auf kantonaler und nationaler Ebene ermöglicht nicht nur ein Monitoring der Lage vor Ort, sondern auch die Vergleichbarkeit auf nationaler Ebene. Schliesslich braucht ein Beratungsangebot Zeit, um eine Wirkung zu entfalten. Das heisst, die Angebote müssen einen festen, dauerhaften Platz in den KIP haben und mit angemessenen, längerfristig gesicherten, finanziellen und personellen Ressourcen versehen sein.

Bilanz

Grundsätzlich sind die Kantone mit ihren Beratungsangeboten auf Kurs. Zu begrüssen ist der sorgfältige Aufbau von Kompetenzen durch Weiterbildungen der kantonalen Anlaufstellen und der Integrationsdelegierten sowie die Tatsache, dass eine grosse Mehrheit der kantonalen Anlaufstellen dem Beratungsnetz für Rassismusopfer angeschlossen ist.

Die ersten Erfahrungen mit den unterschiedlichen Modellen werfen übergeordnete Fragestellungen auf: zur lokalen Verankerung und zum Zugang für die Zielgruppen; zur Öffentlichkeitsarbeit, Sensibilisierung und politischen Legitimation für das Thema; Fragen der Professionalisierung im Umgang mit Fällen, dem Nutzen von Synergien mit weiteren Beratungsstellen und der Rückkoppelung mit spezialisierten Rückberatungsstellen. Schliesslich haben sich im Hinblick auf die KIP 3 alle Beteiligten auf einheitlichere Standards in Qualitätssicherung, Datenerfassung und Monitoring zu einigen.

Wichtig sind auch die vielfältigen Kommunikationsmassnahmen im Rahmen der Informations- und Sensibilisierungsarbeit. Die Erfahrungen der ersten Weiterbildungen ermöglichen es, das Angebot fortlaufend und zielpublikumsgerecht anzupassen. Längerfristig von Vorteil ist, wenn die Weiterbildungen für die Regelstrukturen in eine Gesamtstrategie eingebettet sind und auf einen langfristigen Prozess der Öffnung der Institutionen zielen. Erst durch eine breite Sensibilisierung für das Thema trauen sich Opfer, über ihre Erfahrungen zu sprechen und können von Verwaltungsstellen gezielt beraten werden.

Für die Sensibilisierung der breiten Bevölkerung wird eine Vielzahl von Massnahmen in den Kantonen umgesetzt. Auch hier kann eine kantonale Gesamtstrategie dazu beitragen, dass gezielter jene Projekte gefördert werden, die eine langfristige Wirkung erzielen.

Bibliografie

Kantonale Integrationsprogramme 2014 – 2017. Zwischenbericht. Staatsekretariat für Migration (SEM), Abteilung Integration. SEM/EJPD, 2016.

Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus. Sicherheitsverbund Schweiz SVS, 2017.