Autor
Stefan Heinichen ist Mitglied der EKR und Experte für Sinti und Roma. stefan.
heinichen@kath-winterthur.ch
Wegen gängiger Vorurteile ist es für viele Sinti und Roma schwer, zu ihrer Herkunft zu stehen. Auch deshalb nehmen sie wegen rassistischer Übergriffe kaum Beratung in Anspruch. Eine echte Integrationspolitik braucht ein Entgegenkommen von beiden Seiten – und einen Austausch auf Augenhöhe. Nur so kann Rassismus wirksam bekämpft werden.
Antiziganismus ist leider ganz «normal» im Europa des Jahres 2018. In der Tschechischen Republik werden Roma gar als «sozial nicht Anpassbare» diffamiert. Diese Haltung wird selbst vom tschechischen Präsidenten verbreitet. Laut Medienberichten sagte dieser, die Roma seien während des kommunistischen Regimes geohrfeigt oder sogar ins Gefängnis geschickt worden, wenn sie nicht zur Arbeit gingen. Solche Äusserungen hört man in der Schweiz zum Glück nicht. Doch besteht hier ebenfalls das Problem, dass eine privilegierte Mehrheit etwas über Roma und Sinti erklären und bewirken will; seien es Behörden, Medien oder Politiker. In einschlägigen Foren und Leserbriefen hetzen «Wutbürger» gegen die Minderheiten. Die Mehrheit weiss jedoch kaum etwas über Roma und Sinti. In der Schweiz werden sie weiterhin, zusammen mit den Jenischen, oft als «Fahrende» bezeichnet. Dabei sind Roma und Sinti seit Jahrhunderten in Mitteleuropa beheimatet, auch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Sie arbeiten als Schauspieler, Politiker, Maler und Juristen, sie sind Musiker, arbeiten in der Fabrik, sind als Pösteler unterwegs und verkaufen im Laden. Roma und Sinti sind überall in allen Bereichen des Lebens. Einige sind berühmt geworden, wie z. B. der Schauspieler und Oscar-Preisträger Yule Brynner (1920–1985). Er hatte das Bürgerrecht von Möriken-Wildegg AG, wo 2014 der neue Dorfplatz und das Gemeindehaus nach ihm benannt wurden. Brynner bekannte sich stets zu seiner Roma-Herkunft. Er war Ehrenpräsident der International Romani-Union und spielte in den 1970er-Jahren eine aktive Rolle bei den Bestrebungen der Roma, sich international zusammenzuschliessen und Anerkennung zu finden.
Trotz dieser Fakten und Vorbilder ist es für viele Angehörige der Minderheit schwierig, zu ihrer Herkunft zu stehen. Aufgrund der gängigen Vorurteile ist es besser zu schweigen und seine Identität zu verbergen. Wer möchte denn schon gerne mit «Elend», «Armutszuwanderern» oder «kriminellen Clans» in Verbindung gebracht werden. Dieses Verhalten ist auch bei den jüngeren Generationen immer noch vorhanden! Obwohl sich die jungen Roma als Schweizer fühlen und hier verwurzelt sind, haben sie Angst, Freunde, Jobs oder Aufstiegschancen zu verlieren, sollte ihre Herkunft bekannt werden. Der tägliche Rassismus findet in der Schweiz versteckt statt. Über solche Erfahrungen zu reden, ist für die Betroffenen noch schwieriger als über die Frage der Herkunft selbst. Von den Eltern haben sie gelernt, dass dies normal sei. Das macht es schwierig, bei konkreten rassistischen Vorkommnissen spezifische Fachstellen aufzusuchen. Bis jetzt ist mir kein Fall bekannt, bei dem sich ein Rom oder eine Romni professionell haben beraten lassen. Weder Ermunterungen noch Motivation konnten die Betroffenen überzeugen, eine solche Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Hier gibt es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Natürlich gibt es Ausnahmen. Vor allem junge Romnja (Roma-Frauen) nutzen die Chance, sich auszubilden und über den eigenen Schatten zu springen. «Das Recht Schweizer und Europäer zu sein, hat uns niemals jemand abzusprechen! » meint eine junge Romni selbstbewusst. «Will man über uns berichten, so soll man mit uns auf gleicher Augenhöhe reden! ». Treffender kann man es nicht ausdrücken. Junge Roma und Sinti wollen nicht mehr in der Opferrolle bleiben. Sie verlangen die gleichen Rechte wie andere Staatsbürger auch, ohne ihre Herkunft verleugnen zu müssen. Die Roma und Sinti sind seit 600 Jahren bestens in unserer Region integriert. Doch werden sie bis heute durch Behörden und Politik sowie der Mehrheitsgesellschaft immer wieder bewusst ausgegrenzt und als «anders» angesehen.
Die Verantwortung für die Integration von Minderheiten liegt in erster Linie bei der Mehrheitsgesellschaft. Stereotypen – wie diejenigen über die Roma – müssen aus den Köpfen der Verantwortlichen verschwinden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Formen des Rassismus gar nicht erkannt oder sie sogar unterschwellig unterstützt werden. Eine echte Integrationspolitik beinhaltet ein Entgegenkommen von beiden Seiten. Nur so kann Rassismus wirksam bekämpft werden. Dies klar zu benennen und nicht klein zu reden, ist die grösste Herausforderung für den Kampf gegen Rassismus.