Autor
Esteban Piñeiro ist Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz. Er forscht zur Schweizer Integrationspolitik und zu ethnischen Differenzkonstruktionen im Kontext der öffentlichen Verwaltung.
esteban.pineiro@fhnw.ch
Mitte der 1990er-Jahren vollzog sich auch in der Schweiz eine integrationspolitische Wende, die einen neuen Umgang mit der ausländischen Bevölkerung einleitete. Massnahmen gegen Diskriminierung gelten seither als unabdingbare Voraussetzung für gelingende Integration. Bei genauerem Hinsehen zeichnet sich die gegenwärtige Integrationspolitik aber selbst durch diskriminierende Praktiken aus – eigentlich ein Paradox, das mit Blick auf die propagierte Chancengleichheit unbedingt überwunden werden muss.
In den Anfängen der Schweizer Ausländerpolitik pflegte der Bund das staatspolitische Narrativ der Überfremdungsgefahr: Noch in den 1960/70er-Jahren konzipierte er seine Eingliederungspolitik und die Idee der Ausländerassimilation als Abwehr von Überfremdung. Danach verliert sich diese Spur zusehends. Die Diskriminierung der ausländischen Bevölkerung im Zuschnitt der Überfremdungsabwehr – gegenüber Nationalität und Ethnie – wich einer neuen Politik der Gastfreundschaft, die das friedliche und produktive Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung zu ihrem Hauptziel erklärte. Die ehemals «gefährlichen Elemente» mutierten zu ausländischen Mitmenschen, die Fremdarbeitenden zu Citoyens. Mit dem Integrationsideal setzte sich ein neues Selbstverständnis durch, das die Zugewanderten als ebenbürtige Mitglieder einer offenen, freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft ansprach. Sie sollten über dieselben gesellschaftlichen Partizipationschancen verfügen wie die einheimische Schweizer Bevölkerung. Die Problematisierung des ethnisch Anderen schien nun endgültig abgelöst worden zu sein. In den Mittelpunkt rückte das Bild des gewinnbringenden «einheimischen Ausländers», der als wirtschaftliches, kulturelles und gesellschaftliches Potential nunmehr eine Bereicherung für die Schweiz darstellte.
Nichts läge der Schweizer Integrationspolitik wohl näher, als sich dem Kampf gegen Rassismus zu verschreiben. Denn Integration entfaltet sich ihrem Verständnis nach erst in einem Klima der Anerkennung. Diskriminierung hingegen erschwert es Ausländern, eigenverantwortlich am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Formen der Ungleichbehandlung oder Marginalisierung, die sich indirekt oder ausdrücklich auf die Zugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie, Nation oder Religion stützten, torpedieren demnach den Integrationsprozess. Eine Politik der Integration musste daher zwingend mit einer Politik der Antidiskriminierungen einhergehen. Erst der Schutz vor Ausgrenzung und der Abbau von Integrationsbarrieren führen zur integrationsförderlichen Chancengleichheit. Als eigentliche Integrationshemmnisse galt es Fremdenfeindlichkeit und Rassismus konsequent zu bekämpfen. Statt wie früher die Fremden und damit die Überfremdung abzuwehren, ging die Politik dazu über, die Abwehr auf die Fremdenangst der Einheimischen auszurichten. In diesem Verständnis verlangt Integration eben nicht nur einen entsprechenden Willen der Ausländerinnen und Ausländer. Auch die Aufnahmegesellschaft ist gefordert, fördernde Rahmenbedingungen sicherzustellen und die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung zu stärken.
Parallel zur Etablierung der neuen Chancengleichheits- und Antidiskriminierungspolitik der Integration konsolidierte sich eine Zuwanderungspolitik, die einen Teil der Ausländerinnen und Ausländer aktiv diskriminiert. Das duale Zulassungssystem spaltet die ausländische Bevölkerung in eine erwünschte Zuwanderung aus EU/EFTA-Staaten und in eine mehrheitlich unerwünschte Zuwanderung aus Drittstaaten. Während für Erstere ein liberales Zulassungsregime gilt und diese eine weitgehende rechtliche Besserstellung erfahren, werden Drittstaatsangehörige einem restriktiven Selektionsregime unterworfen. Aus Nicht-EU/EFTA-Ländern sollen nur noch gut qualifizierte Spezialistinnen und Experten einwandern, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt sind und zudem auch gute Chancen für eine nachhaltige Integration in das soziale und gesellschaftliche Umfeld aufweisen. Stellt sich die Integrationsfrage bei den erwünschten EU-/EFTA-Arbeitskräften nicht mehr automatisch, so wird die Gruppe der sogenannt bildungsfernen Drittstaatsangehörigen prinzipiell einmal verdächtigt, Integrationsnachteile aufzuweisen. Dieses Zulassungsregime und insbesondere die Kategorisierung der Drittstaatsangehörigen gemäss ihrem Integrationspotential halten die alte Angst vor der gesellschaftlich unverträglichen sozialen und kulturellen Distanz gewisser ausländischer Populationen zur Schweizer Bevölkerung wach: Jene Migration aus entfernteren Ländern (worunter notabene auch das Gros der Asylmigration fällt) scheint demnach unseren kulturellen, gesellschaftlichen oder religiösen Wertvorstellungen weniger zu entsprechen. Sie bedarf besonderer Massnahmen der Integration.
Auch wenn die Integrationspolitik die Regeln des Zusammenlebens nicht primär verordnet, sondern den Willen der Ausländer und die Integrationskraft der gesellschaftlichen Kontexte fördern will, so können Integrationsleistungen von Zugewanderten auch verlangt und offiziell eingefordert werden. Dem freiwilligen Beitrag der Ausländer stellt die Integrationspolitik die Erfüllung von Pflichten zur Seite. Und sie stellt klar, mit welchen ausländerrechtlichen Sanktionen Ausländerinnen und Ausländer bei Nichterfüllung von Integrationserwartungen zu rechnen haben. Allerdings: Rechtlich einfordern lassen sich Integrationsleistungen nur bei Drittstaatsangehörigen (Integrationsvereinbarung). Das Diskriminierungsverbot des Freizügigkeitsabkommens (FZA) verbietet eine Integrationspflicht und Sanktionsmöglichkeiten bei Personen aus EU/EFTA-Mitgliedstaaten. Während sich die Integration der Letzteren nur auf freiwilliger Basis fördern lässt, kann bei Ersteren die Erteilung einer Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung an Integrationsleistungen geknüpft werden. Gemäss dem teilrevidierten Ausländergesetz (künftig Ausländer- und Integrationsgesetz AIG) sollen nur noch gut integrierte Ausländerinnen und Ausländer eine Niederlassungsbewilligung erhalten können. Bei Nichterfüllung von Integrationszielen riskieren sie eine Rückstufung des ausländerrechtlichen Status auf Ausweis B. Der Trend ist klar: Die restriktive Politik des Integrationszwangs gewinnt zunehmend an Bedeutung. Wirksam wird sie aber nur für einen Teil der ausländischen Bevölkerung – für die Drittstaatsangehörigen.
Bedenklich ist aus einer Perspektive der Gleichbehandlung oder Antidiskriminierung nicht nur, dass die Gruppe der Drittstaatsangehörigen gemäss nationaler Herkunft und ethnokulturellen Zuschreibungen von der vorherrschenden Migrations- und Integrationspolitik strukturell benachteiligt wird. Auch ist sie in besonderem Masse betroffen von den weiterhin bestehenden grossen Ermessensspielräumen bei der Anwendung von Integrationskriterien durch Behörden, was Ungleichbehandlungen begünstigt. Nur bei den Drittstaatsangehörigen wird die Integra-tionskarriere zum Gradmesser für den Entzug der Aufenthaltsbewilligung, für eine Wegweisung, für die Verweigerung des Familiennachzugs oder für die Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs. Die Integrationspolitik, die sich der Chancengleichheit verschreibt und Diskriminierungen zu überwinden trachtet, organisiert sich rund um eine natio-ethnokulturelle Spaltung der ausländischen Bevölkerung. Dies führt zu einer strukturellen Benachteiligung der Drittstaatsangehörigen. Das Integrationsideal will die Ausländerinnen und Ausländer zu Citoyens ermächtigen, identifiziert die Drittstaatsangehörigen jedoch als potentiell defizitäre, fremde Andere. Die Erosion der alten Überfremdungspolitik führte nicht zum Verschwinden einer diskriminierenden Ungleichbehandlung der Ausländerinnen und Ausländer. Vielmehr konzentriert sich diese auf die Gruppe der Drittstaatsangehörigen – und unter ihnen noch auf die Bildungsfernen mit Integrationsdefiziten. Sie sind die rechtlich-politisch markierten Anderen, die ihren Integrationswillen unter Beweis stellen müssen. Wir haben es hier mit einer Form der institutionellen Diskriminierung zu tun, die als Effekt der nationalen Ungleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen und einer damit verwobenen sozioökonomischen und ethno-kulturellen Selektion von Integrationspotentialen wirkt. Will die Integrationspolitik ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, so muss sie sich selbst zum Gegenstand der Antidiskriminierung machen. Denn eine Politik, die diskriminiert, eignet sich nicht als Politik der Antidiskriminierung.
Bibliografie
Eidgenössische Migrationskommission EKM (2017): Inte-gration – kein Messinstrument, sondern die Aufgabe aller! Empfehlungen. Bern.
Ha, Kien Nghi (2013): Integration als post-koloniale Politik der gesellschaftlichen Unterordnung. (Hrsg.): Wider die Integrationsmaschinerie. In: cfd – Christlicher Friedensdienst (Hrsg.). Dokumentation der Tagung zur Migrationspolitik, Bern. S. 13-19.
Piñeiro, Esteban (2015): Integration und Abwehr. Genealogie der Schweizer Ausländerintegration. Zürich: Seismo.