TANGRAM 41

Langfristiger Lernprozess. Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen

Autoren

Jenny Adler Zwahlen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachstelle Integration und Prävention beim Bundesamt für Sport.
jenny.adlerzwahlen@baspo.admin.ch

Siegfried Nagel ist Direktor des Institutes für Sportwissenschaft der Universität Bern.
siegfried.nagel@ispw.unibe.ch

Torsten Schlesinger ist Professor an der Fakultät für Sportwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum (D).
torsten.schlesinger@rub.de.

Soziale Integration in Sportvereinen geschieht nicht von selbst. Es braucht fördernde Bemühungen von allen Seiten. Das Projekt «Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen» nahm Erfolgsfaktoren und Barrieren unter die Lupe.

Ein Blick auf die Struktur der Aktiven im Schweizer Sport und von Mitgliedern in Schweizer Sportvereinen zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund deutlich weniger repräsentiert sind, als es ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung erwarten liesse (Fischer et al., 2010; Lamprecht et al., 2014). Dies lässt durchaus Zweifel am Integrationsanspruch des organisierten Sports aufkommen, obschon das im Jahr 2007 vom Bund verabschiedete Massnahmenpaket zur «Förderung der Integration von Ausländerinnen und Ausländern» die hohe Bedeutung des Sports als soziales Setting im Rahmen der Integrationspolitik unterstreicht (BFM, 2008, 1-4).

Vor dem Hintergrund dieser Problemstellung verfolgte die Studie «Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen» folgende Leitfragen: 1. Welche Faktoren spielen für die dauerhafte Beteiligung/Bindung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund am Vereinssport eine Rolle, und inwiefern erfolgt über die rein formale Mitgliedschaft hinaus auch eine soziale Integration in den Verein? 2. Wie gehen Sportvereine mit dem Thema Integration um, und inwieweit begünstigen oder behindern bestimmte Strukturbedingungen von Sportvereinen Integrationsprozesse?

Theoretisch-methodisches Vorgehen

Um die Mechanismen gelingender Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den organisierten Sport analysieren zu können, sind einerseits die Strukturgegebenheiten von Sportvereinen, andererseits die sozialen Faktoren, welche die individuelle Entscheidungsfindung bezüglich einer Vereinsmitgliedschaft beeinflussen, zu berücksichtigen. Im Rahmen der Studie wurde zwischen folgenden Referenzebenen differenziert:

  1. Auf organisationaler Ebene sind jeweils die vereinsspezifischen Strukturbedingungen mit Blick auf deren Integrationsfähigkeit zu beleuchten.
  2. Auf interaktionaler Ebene sind vereinsspezifische Interaktionskontexte hinsichtlich sozialer Ausgrenzungspraktiken zu analysieren.
  3. Die Ebene Individuum berücksichtigt, dass die soziale Einbindung in den Vereinssport eine Konsequenz individuellen Wahlverhaltens sowie kultureller Selbstverortung darstellt.
Aufgrund der Komplexität des Forschungsgegenstandes wurden sowohl quantitative als auch qualitative Analyseverfahren im Rahmen von Fallstudien (n = 36 Sportvereine) angewendet. In der quantitativen Teilstudie wurden sowohl vereinsspezifische Strukturdaten als auch Individualdaten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund erhoben und miteinander in Beziehung gesetzt. In der qualitativen Teilstudie erfolgten in ausgewählten Sportvereinen vertiefende Analysen vereinsspezifischer Interaktionskontexte mit Blick auf soziale Grenzziehungspraktiken.

Ausgewählte Befunde

Die Sportvereine in unserer Studie erfüllen zum grossen Teil die zugeschriebenen Integrationsansprüche (Swiss Olympic, 2015). Denn insgesamt sind einheimische und immigrierte Mitglieder in Sportvereinen in breitem Umfang gut sozial integriert. Wir stellten dabei keine Unterschiede zwischen Immigrierten der dritten Einwanderungsgeneration und Einheimischen fest. Zudem ist hervorzuheben: Wenn Sportvereine schwer erreichbare und eher selten im organisierten Sport involvierte Bevölkerungsgruppen, wie weibliche Immigrierte und speziell aus dem süd-/südost- und osteuropäischen Raum als Mitglied haben, dann sind diese ähnlich häufig sportaktiv und sozial integriert wie ihre einheimischen Sportkollegen und Sportkolleginnen. In den Sportvereinen wurden zudem bisher selten Diskriminierungen und interkulturelle Konflikte zwischen den Mitgliedern beobachtet. So lässt sich schlussfolgern, dass vorerst wenig dagegenspricht, dass Sportvereine die kulturellen Besonderheiten ihrer immigrierten Mitglieder mitberücksichtigen; was mit dem bikulturellen Integrationsverständnis und der Potenzialperspektive des «Cultural Diversity»-Ansatzes im Einklang steht.

Diese Studie zeigt auch, dass soziale Integration nicht von selbst geschieht, sondern sich als voraussetzungsvoll darstellt. Es bedarf fördernder Bemühungen sowohl seitens immigrierter als auch einheimischer Vereinsmitglieder und Vereinsverantwortlichen. Dabei sind unterschiedliche Faktoren auf Mitglieder- und Vereinsebene für die soziale Integration relevant. Beherrscht ein immigriertes Mitglied z.B. unzureichend die Vereinssprache, befolgt religiöse Pflichten oder orientiert sich an «vereinsfremden» Werten, ist Folgendes naheliegend: Diese Person erlangt weniger Kenntnisse rund um den Vereinsalltag und hat eher Schwierigkeiten beim Knüpfen von Freundschaften. Aber auch unzureichende Integrationsarbeit durch die Vereine, ein assimilatives Integrationsverständnis, bewusste oder unbewusste Ausgrenzungsmechanismen sowie unpassende Sport- und Freizeitangebote im Sportverein können sehr wohl die Chancen der gleichberechtigten Einbindung reduzieren.

Fazit

Unsere Empfehlungen zur (Weiter-)Entwicklung der Integrationsarbeit in Sportvereinen lehnen sich neben den Studienresultaten an Überlegungen der Sportvereinsforschung sowie der «Cultural-Diversity»-Perspektive an. Eine umfassende Einbindung in Sportvereine wird für Mitglieder mit Migrationshintergrund dann möglich, wenn Sportvereine aktiv den gleichberechtigten Zugang zu solchen Interaktionsgelegenheiten ermöglichen, die alle vier Schlüsselbereiche der sozialen Integration (Interaktion, Platzierung, Kulturation und Identifikation) stärken. Hierbei gibt es keinen «goldenen» Weg. Vielmehr wird nahegelegt, bei Integrationsaktivitäten sowohl die Partizipation und Mitsprache der immigrierten Mitglieder zu fördern, als auch immer wieder ihre Bedürfnisse kennenzulernen. Dabei sind zunächst individuell für jeden Sportverein die Ausgangslage sowie relevante Handlungsfelder zu analysieren, darauf aufbauend ist eine zielführende Strategie zu entwickeln, anhand derer Integrationsmassnahmen abgestimmt und umgesetzt werden können (z.B. bezogen auf Machbarkeit, Dringlichkeit, konkrete Probleme).

Integrationsaktivitäten setzen seitens Mitwirkender die Motivation und Bereitschaft voraus, für Anpassungsprozesse einen Mehraufwand zu leisten. Denn die interkulturelle Öffnung ist für den Sportverein mit einem langfristigen und ganzheitlichen Lernprozess verbunden. Abgesehen von einer «Willkommenskultur» im Sportverein ist ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass (kulturelle) Unterschiede zwischen Mitgliedern sozial konstruiert sind und durch Interaktionshandeln von Mitgliedern im Vereinsalltag, aber auch vereinsstrukturelle Bedingungen aufrechterhalten werden. Dies bedeutet für die Vereins-praxis, dass z.B. Stereotypisierungen und damit verbundene Konfliktsituationen gar nicht erst auftauchen, indem Trainingsleitende ihre eigene Beteiligung an der Konstruktion von Differenzen reflektieren und (Sportgruppen-)Mitglieder dahingehend sensibilisieren.

Bibliografie

Bundesamt für Migration, Umsetzung Massnahmenpaket Integration 2008, Bern

Fischer, A., Wild-Eck, S., Lamprecht, M., Stamm, H.-P., Schötzau, S. & Morais, J.. Das Sportverhalten der Migrationsbevölkerung: Vertiefungsanalyse zu «Sport Kanton Zürich 2008» und «Sport Schweiz 2008». Kantonale Fachstelle für Integrationsfragen und Fachstelle Sport, Zürich, 2010

Lamprecht, M., Fischer, A. & Stamm, H.-P., Sport Schweiz 2014. Sportaktivität und Sportinteresse der Schweizer Bevölkerung, Bundesamt für Sport, Magglingen, 2014

Swiss Olympic, Ethik-Charta im Sport, Ittigen, 2015