Autor
Ueli Mäder ist Soziologe, emeritierter Professor an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit.
Ueli.maeder@unibas.ch
Der Soziologe Ueli Mäder führte in den letzten Jahren viele Gespräche mit einem ihm persönlich bekannten Hooligan. Im nachfolgenden Porträt zeichnet er dessen Lebensgeschichte nach. Dabei geht es darum zu verstehen, nicht zu rechtfertigen.
Anfang 2018 feierte Gök Terman seinen 50. Geburtstag mit seinen Angehörigen, herzlich zugewandt. «Das war nicht immer so», schränkt Gök ein. Aber ein starker Zusammenhalt ist spürbar, leidgeprüft. Gök kam dreijährig von der Türkei ins untere Baselbiet. Hier besuchte er die Schulen, spielte vierzehn Jahre aktiv Fussball, erhielt aber bis heute keinen roten Pass. Gleichwohl fühlt er sich als Schweizer und vor allem als FCB-Fan.
Der Vater von Gök tyrannisierte die Familie. Gök gab manchmal «Übeltaten» zu, die er nie begangen hatte. Erst am Totenbett kamen sich die beiden etwas näher. «Er tat mir fast ein wenig Leid. » Aber das häufige Ausrasten des Vaters bleibt in schmerzlicher Erinnerung. Auf dem Pausenhof verteidigte Gök seine gehänselte Schwester, die sich später das Leben nahm. Einmal drückte er einen Lehrer an die Wand und bläute ihm ein, sie besser zu schützen. Als Kind hatte Gök oft Angst. Er stählte sich körperlich und seelisch. Bald fürchteten sich andere vor ihm. Wegen eines frisierten Töffs rückte ihm die Polizei auf die Pelle. Gök suchte Rückhalt in verschworenen Gemeinschaften. 18-jährig dockte er bei den ritterlichen «Crusader» an, dann bei den Ultras und später bei den Basler Hooligans. Hier imponierte ihm der Ehrenkodex. «Treue über alles » Und: «Organisierte Schlägereien nur mit feindlichen Gleichgesinnten ». Einzelnen Ultras warf er vor, sich mit irgendwelchen Ausländern zu prügeln. «Da hätte ich mich wegen meiner Herkunft ja selbst abschaffen müssen ».
Mit seinem Outfit provozierte Gök schon früh, als Bub noch etwas versteckt. In jugendlichem Alter kamen kurze Haare, Bomberjacke und Tätowierungen hinzu. Embleme mit Nazi-Motiven sorgten besonders für Schrecken. Gök lehnt das Nationalsozialistische zwar ab, aber es faszinierte ihn irgendwie. Er sammelte Fahnen, Uniformen und Waffen. Er dachte «eher rechts», verabscheute Linke, die Punks und Antifa. Der RAF hielt er allmählich zugute, wenigstens gegen die Richtigen vorzugehen. In vielen Gesprächen setzte sich Gök auch mit eigenen Motiven auseinander. Er unterstützte sogar eine Studie über Rechtsextremismus. Martin Luther King imponiert ihm. «Er wurde im gleichen Jahr ermordet, als ich zur Welt kam, und kämpfte auch gegen Unterdrückung».
Gök litt als Kind unter Ausgrenzung. Er kämpfte dafür, anerkannt zu werden und fühlte sich sauwohl, wenn er andere bodigen und ihnen Angst einjagen konnte. Gewalt ist «geil» und ein Spruch ist gut, wenn er provoziert. Einen Gegner als «Judenschwein» zu bezeichnen, sei nicht ernst gemeint. Und auch nicht korrekt. Eben!
Gök erlebte Korrektes als unkorrekt und Normales als abnormal. Er wollte aus der Hölle ausbrechen, die auch in ihm steckte und ihn anzog. Wir tragen alle die Mechanismen in uns, die wir überwinden wollen. Wenn ich im Gespräch mit Gök antirassistisch argumentiere, wehrt er ab. Wenn ich seine Motive verstehen will, ohne sie zu rechtfertigen, lässt er Gefühle zu. Und Selbstkritik. Zum Beispiel am eigenen Macho-Kult, der übrigens auch hoch angesehene (Manager-)Szenen prägt. Ja, wer wo zur Welt kommt, ist zufällig. Es hilft, wenn wir uns das immer wieder vor Augen führen und dabei auch eingestehen, was wir (selbst an uns!) nicht verstehen.