TANGRAM 40

Islamkritik, Muslimfeindschaft oder Islamophobie. Zur Begriffsklärung eines Ressentiments

Autor

Der deutsche Historiker Wolfgang Benz ist emeritierter Professor an der Technischen Universität Berlin. Von 1990-2011 leitete er das Zentrum für Antisemitismusforschung.
prof.wolfgang.benz@gmail.com

Was ist Muslimfeindlichkeit? Für die aus Vorurteilten gespeiste Abneigung gegen Muslime gibt es keinen allgemein akzeptierten Begriff. Als Oberbegriff bietet sich «Muslimfeindschaft» an als einem Ressentiment gegen eine Minderheit, die mit religiösen, kulturellen und politischen Argumenten ausgegrenzt wird

Für die verbreiteten Ressentiments gegen den Islam und gegen Bürger, die Muslime sind oder als Muslime wahrgenommen werden, gibt es keinen allgemein akzeptierten Begriff. Akteure des Diskurses, die sich als Islamkritiker verstehen und so bezeichnen, verwahren sich erbittert gegen den Terminus «Islamophobie», da sie die Diagnose ihrer Überzeugungen als wahnhaft ablehnen und die von ihnen beschworenen Gefahren nicht als Ausfluss von Hysterie oder Fanatismus, und schon gar nicht als Phobie, gewertet wissen möchten. Durch diesen Begriff, der krankhafte Angstzustände bezeichnet, fühlen sie sich stigmatisiert, da sie darauf beharren, dass die Gefahren, vor denen sie warnen, in der Realität existieren.

Der Terminus «Islamophobie» ist in den Sozialwissenschaften «tendenziell etabliert», wenngleich keinesfalls exakt definiert und damit anerkannt. In der wissenschaftlichen Literatur scheint sich «Islamfeindlichkeit» trotz der dem Begriff innewohnenden Unschärfe durchzusetzen. Die Formulierung «Islamkritik» schillert durch ihre verschiedenen Bedeutungen und ist dadurch diskreditiert, dass sie von Interessenten zur Tarnung muslimfeindlicher Ressentiments oder islamfeindlicher Einstellungen gebraucht wird. Die Skala dessen, was unter «Islamkritik» verstanden werden kann, reicht von der Distanzierung, die persönliche Erfahrung in der Sozialisation in muslimischer Lebenswelt zur Ursache hat und sich in der anklagenden Attitüde des «Ex-Muslimen» oder der «Ex-Muslima» gegen «den Islam» Luft verschafft bis zum blinden Hass rechtsextremer Demagogen über alle Schattierungen, die von publizistischen Herolden des Angstgeschreis ins Bild gebracht werden.

«Islamkritik» ist auch deshalb zur Bezeichnung der Muslimfeindschaft nicht zutreffend, weil es dazu einer Kompetenz bedarf, die zwar Islamwissenschaftler haben, die sich mit Religion, Kultur, Lebensformen usw. des Islam beschäftigen oder Gläubige, die Inhalte ihres Glaubens und ihrer Lebenswelt hinterfragen, nicht aber die Pamphletisten, die den Untergang des Abendlandes fürchten und deshalb gegen Muslime agitieren, indem sie populäre Vorurteile beschwören und in beleidigender Form verbreiten.

Mangelndes Selbstbewusstsein und Ängste als Wurzeln

Zu definieren ist das aktuelle Phänomen Islamfeindschaft als Ressentiment gegen eine Minderheit von Bürgern bzw. in unserer Gesellschaft lebender Menschen, die mit religiösen, kulturellen und politischen Argumenten diskriminiert und ausgegrenzt werden. Es geht nicht um die Terrorakte radikaler Islamisten, oder um Modernisierungsdefizite in islamischen Staaten oder Gesellschaften. Gegenstand sind Ressentiments gegen Muslime in unserer Gesellschaft, die diskriminiert werden, weil sie Muslime sind. Gegen sie werden Feindbilder konstruiert, die in den Komplex gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehören und deshalb aus der Perspektive der Vorurteilsforschung zu betrachten sind. Das Paradigma des Antisemitismus kann zur Erklärung des Gruppenverhaltens gegenüber Muslimen gute Dienste leisten. Die wütend vorgebrachte Abwehrreaktion, damit setze man Juden und Muslime gleich, marginalisiere den Holocaust und verrate Israel, beweist ebenso starke Emotionen wie mangelnden intellektuellen Anspruch.

Islamfeindliche Gesinnung, durch Ideologen stimuliert, von Aktivisten mit Vehemenz agiert, ist eine Haltung unbedingter Ablehnung, die aus Emotionen des Unbehagens und der Unsicherheit entsteht und genährt wird. Wurzeln sind mangelndes Selbstbewusstsein und Ängste, die scheinbar rationalisiert werden. In der Steigerung zur kollektiven Obsession wird Islamfeindschaft zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Solche Gesinnung ist immun gegen jede Wissenschaft, die Ressentiments zu erklären und zu verstehen versucht und sie mit rationalen Methoden – Analyse, Vergleich, Interpretation der Auslösefaktoren, Bedingungen und Wirkungen – in soziale, historische und psychologische Kontexte einzuordnen unternimmt.

Lange Tradition der Ausgrenzung

Die furiose und in der Regel diffamierende Abwehr einer rationalen Beurteilung von beängstigenden gesellschaftlichen Phänomenen und Entwicklungen hat eine lange, aber wenig ruhmreiche Tradition der Ausgrenzung von Fremden (wie auch immer das Fremde definiert wird) zugunsten der Verherrlichung des Eigenen. Manichäische Welterklärungen durch Schuldzuweisung an eine (beliebige) Minderheit sind ohne Schwierigkeit nachvollziehbar und viel weniger mühsam als die differenzierende Auseinandersetzung mit Problemen, bei der die Wahrnehmung von einer Minderheit mit den (davon unabhängigen) Empfindungen in der Mehrheit in Beziehung gesetzt werden. Objektivität und Rationalität sind gegenüber psychologischen Befindlichkeiten kaum realisierbar. Völlig chancenlos ist die Vernunft, wenn man sich für das Betrachtungsprinzip des Generalverdachts und damit gegen rationales Problembewusstsein entschieden hat, das die Ursachen des Unbehagens über eine Gruppe von Anderen wenigstens zu ergründen versucht.

Die Definition einer Gruppe über ihre Herkunft, kulturelle Tradition, Religion, ökonomische Situation usw. als «anders», d.h. «fremd» und deshalb «feindlich» vereinfacht den Umgang mit ihr, der dann auf Ablehnung reduziert werden kann. Gleichzeitig stärkt dieses Verhalten das Selbstbewusstsein der Mehrheit, die die Minderheit ausgrenzt. Im primitivsten Falle verdichtet sich das Unbehagen zum Hass gegen die «feindliche» Gruppe.

Natürlich gibt es Probleme im Umgang mit Muslimen und selbstverständlich ist eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Islam notwendig. Dazu bedarf es einiger – selbstverständlicher – Voraussetzungen: Unvoreingenommenheit, Unterscheidungsvermögen zwischen religionsimmanenter und ethnischer Kultur und Tradition, Bereitschaft, Kenntnis über den Islam zu erwerben, Akzeptanz der Zuwanderer als gleichberechtigte Menschen und der Dialog mit ihnen auf Augenhöhe. Damit wäre der notwenige Abstand zu gewinnen von der pauschalen Zurückweisung, die auf Unkenntnis oder böswilligen Behauptungen gründet. In weiteren Schritten der Auseinandersetzung ist dann von sichererem Grund aus, als ihn die Kombination von Abneigung und Unwissen bietet, zu beurteilen, was im Lichte demokratischer Werte zu kritisieren ist und welcher Reformbedarf herrscht.

Jeder Erklärungsversuch des Phänomens «Islamkritik» bzw. Muslimfeindschaft muss die xenophobischen und rassistischen Aspekte mit in den Blick nehmen, die zu den Ressentiments gegen Muslime gehören. Zu beachten ist zum einen, dass ethnische Eigenarten von religiösen zu unterscheiden sind und dass Individuen nicht monokausal nur durch ihre Herkunft, Religion oder eine andere Eigenschaft definiert werden können. Es sei denn, man ziele auf Ausgrenzung durch Definition; dieser Vorwurf ist den Akteuren der «islamkritischen» Szene allerdings zu machen.

Historische Muster der Judenfeindschaft

Die ausschliesslich negative Charakterisierung der Angehörigen einer Minderheit mit dem Etikett «Muslime» benutzt die Religionszugehörigkeit – ohne Differenzierung ob die Religion praktiziert wird oder allenfalls zum kulturellen Hintergrund der Person gehört – zur Stigmatisierung und folgt damit den historischen Mustern der Judenfeindschaft. Angesichts der aktuellen Koranschelte, die von Exegeten dubioser Qualifikation geübt wird, um zu beweisen, dass die Nichtswürdigkeit der Muslime und deren Unverträglichkeit mit der Gesellschaft aufgeklärter Europäer aus ihrer Religion resultieren, ist an den christlichen Antijudaismus zu erinnern. Die Ablehnung der Juden wurde ursprünglich theologisch durch ihre Resistenz gegen die Taufe, d.h. die Bekehrung, begründet.

Die pauschale Ablehnung des Islam wird nicht nur durch die Stigmatisierung des Individuums über seine Religion oder Kultur praktiziert – wofür, in der Verbindung, mit ethnischen Ressentiments der Begriff Kulturrassismus in Gebrauch ist – sondern auch durch die pauschale Gleichsetzung mit Fanatikern, die Religion zur Durchsetzung extremistischer Ziele mit terroristischen Methoden missbrauchen. Jeder Muslim soll mithilfe muslimfeindlicher Propaganda durch Assoziation als Sympathisant oder Unterstützer identifiziert werden von radikalen Vereinigungen, wie den Muslimbrüdern, bösartigen Gewalttätern wie al-Qaida oder IS und israelfeindlicher Militanz, die in der palästinensischen HAMAS und der mit ihr konkurrierenden FATAH, in der libanesischen Hisbollah, in der in Jordanien entstandenen Hizb al-Tahrir al Islami organisiert sind. Die Vielfalt des Islam und die Friedfertigkeit der Mehrheit der Muslime werden durch eine pauschalisierende «Islamkritik» negiert, das ist ihr erstes Anliegen und die Verhinderung der Integration das Ziel. Werkzeuge dazu sind die fremdenfeindlichen und kulturrassistischen Konstrukte der Muslimfeindschaft. Sie sind eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft, weil sie den Dialog und die Notwendigkeit des Interessenausgleichs ablehnen und die wichtigste demokratische Tugend, die Toleranz verdammen.

Bibliografie

Bahners, Patrick: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift, München 2011

Benz, Wolfgang: Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet, München 2012

Benz, Wolfgang und Pfeiffer, Thomas (Hrsg.): «Wir oder Scharia?» Islamfeindliche Kampagnen im Rechtsextremismus. Analysen und Projekte zur Prävention, Schwalbach/Ts 2011, S.59-70

Schiffer, Sabine: Die Darstellung des Islams in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen. Eine Auswahl von Techniken und Beispielen, Würzburg 2005

Schneiders, Thorsten Gerald (Hrsg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden 2009

Shooman, Yasemin: «… weil ihre Kultur so ist»: Narrative des antimuslimischen Rassismus, Bielefeld 2014