TANGRAM 40

«Als Jugendlicher wollte ich nichts von Religion wissen»

Interview mit Abduselam Halilovic, Student der Islamwissenschaften

Als Sohn eines Imams war Abduselam Halilovic schon als Kind von der Glaubenspraxis umgeben. Im Studium nähert er sich dem Islam nun aus wissenschaftlicher Perspektive an. Daneben engagiert er sich für die muslimische Community in Zürich.

Abduselam Halilovic, wer sind Sie?

Ich bin 25 Jahre alt, studiere an der Universität Zürich Islamwissenschaften, arbeite Teilzeit in der Finanzbranche und bin in verschiedenen muslimischen Vereinen in Zürich aktiv.

Stört es Sie, wenn man Sie explizit als Muslim vorstellt?

Es stört mich nicht, aber ich stelle meine Religiosität nie in den Vordergrund – weder bei der Arbeit noch im Studium. Dort widme ich mich dem Islam aus einer wissenschaftlichen Perspektive und als einem gesellschaftlich-historischen Phänomen.
 
Weshalb haben Sie sich für das Studium der Islamwissenschaften entschieden?

Ich bin als Sohn eines Imams aufgewachsen. Seit meine Eltern Anfang der 1990er-Jahre aus Bosnien in die Schweiz gekommen sind, amtet mein Vater als Imam der bosnischen Moschee in Schlieren. Ich war sozusagen immer von der Glaubenspraxis umgeben, und ich habe früh begonnen, mich damit zu beschäftigen. Als Jugendlicher wollte ich für einige Jahre nichts von Religion wissen. Nach einem langen Prozess der persönlichen Auseinandersetzung habe ich mich wieder dem Glauben zugewandt.

Welchen Stellenwert hat die Religion in Ihrem Alltag?

Als religiöser Mensch ist man zur Bescheidenheit aufgerufen. Ich bin nicht ‹oberreli-giös›, aber der Islam spielt durchaus eine Rolle in meinem Leben. Ich versuche, die Pflichten einzuhalten, das heisst die täglichen Gebete, das Fasten während des Ramadans, die Abgaben an die Armen, und ich halte mich von Verbotenem fern.

Sind Sie im Alltag mit Muslimfeindlichkeit konfrontiert worden?

Ich persönlich bin noch nie angefeindet worden. Das hat auch damit zu tun, dass mein Aussehen völlig unauffällig ist. Ich bin weisser Hautfarbe und trage keinen Bart. Auch was meinen Namen betrifft, kommt man nicht sofort auf die Idee, dass ich Muslim bin. Einzig die Endung «ic» des Familiennamens verrät meine Herkunft. Dann gelte ich aber eher als «Jugo» denn als Muslim.
 
Haben Menschen in ihrem Umfeld Anfeindungen erlebt?

Ja, ich kenne mehrere Fälle von Anfeindungen aus nächster Nähe. Besonders exponiert sind Frauen, die ein Kopftuch tragen. Ein Fall betrifft ein Mitglied unserer Familie. Die Verwandte arbeitete in einem Laden, wo sie jeweils morgens Regale auffüllte. Nachdem sich Kunden über ihr Kopftuch beschwert hatten, verlor sie den Job, obwohl das Kopftuch bei der Anstellung kein Thema gewesen war. In einem anderen mir bekannten Fall wurde eine Kopftuchträgerin spätabends im Zug tätlich angegriffen.

Sollen muslimische Frauen Ihrer Meinung nach Kopftuch tragen?

Historisch gesehen haben Frauen in muslimischen Gesellschaften immer ein Kopftuch getragen. Es ist eine religiös begründete Entscheidung, sich so zu kleiden. Theologisch kann man dafür oder dagegen argumentieren. Ich bin nicht in der Lage, ein Urteil abzugeben. Wir sollten aber in der Schweiz des 21. Jahrhunderts so weit sein, dass es jedem Menschen überlassen wird, sich so zu kleiden, wie er oder sie möchte. Das ist für mich eine Frage der persönlichen Freiheit.

Nach dem Minarettverbot wird die Schweiz voraussichtlich auch über ein Burkaverbot abstimmen. Was heisst das für Sie als Muslim?

Wir brauchen weder Minarette noch die Burka, um unseren Glauben zu leben. Die Burka ist ohnehin ein absolutes Minderheitenproblem. Von den rund 500 000 Muslimen in der Schweiz tragen weniger als 100 Frauen eine Burka. Aber problematisch ist die Diskussion, die damit verknüpft wird. Es kommen immer wieder neue Forderungen auf den Tisch, so die Überwachung von Moscheen oder die Forderung der Assimilation. All dies impliziert, dass die Muslime nicht Teil dieser Gesellschaft sind. Dabei sind mehr als Drittel der hiesigen Muslime Schweizer Bürger, und dieser Anteil wird noch weiter steigen. Vor diesem Hintergrund ist diese Rhetorik absurd. Sie führt nur zu Marginalisierung, was in einer schlechten Konstellation zu Radikalisierung führen kann. Wenn eine Person mehrfach ausgegrenzt wird, sich marginalisiert und bevormundet fühlt, besteht das Risiko, dass sie sich schädlichen Ideologen zuwendet.
 
Was halten Sie von der Forderung, dass sich Muslime von radikalen Strömungen distanzieren sollen?

99,9 Prozent der Muslime ticken nicht anders als die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land. Trotzdem sind wir alle grundsätzlich verdächtig, radikal zu sein oder noch schlimmer, als Wölfe im Schafspelz die Öffentlichkeit anzulügen. Das vergiftet die Stimmung. Innerhalb der muslimischen Gemeinschaft vertrete ich den Standpunkt, dass man auf schädliche Ideologien und Argumentationsmuster hinweisen und sie mit islamischen Argumenten zu entkräften versuchen sollte. Problematisch finde ich, wenn von aussen der Druck kommt, dass wir uns von etwas distanzieren sollen, wofür wir keine Schuld tragen.

Sie engagieren sich unter anderen in muslimischen Jugendprojekten. Weshalb?

Wenn man sich mit seiner eigenen Religiosität auseinandersetzt, dann möchte man etwas für die muslimische Community und das Image der Muslime tun. Dazu kommt die unausgesprochene Erwartung, dass sich der Sohn des Imams für die Gemeinschaft einsetzt. In den letzten Jahren bin ich immer stärker in diese Engagements hineingewachsen.

Welches ist die positivste Erfahrung Ihres Engagements?

Erfreulich ist die Entwicklung, die das Ganze genommen hat. Unser Verein Ummah war anfänglich klein und unbekannt. Innerhalb der letzten Jahre ist daraus in Zürich ein grösseres Netzwerk zusammen mit anderen Akteuren wie der Integrationsförderung oder der Offenen Jugendarbeit entstanden. Das sind Pionierschritte der zweiten und dritten Generation, die in der Schweiz aufgewachsen sind.

Und was ist besonders schwierig?

Die grösste Herausforderung besteht darin, dass unser gesamtes Engagement auf Freiwilligenarbeit beruht. Das führt dazu, dass die Projekte auf einer wackligen Basis stehen.

Welche Themen beschäftigen die Jugendlichen am stärksten?

Es beschäftigen sie die gleichen Themen wie alle anderen Schweizer Jugendlichen: Arbeit, Lehre, Studium, Schule, Beziehungen. Die meisten wollen auch Informationen über den Islam. Wir vermitteln ihnen auf Deutsch – also in einer Schweizer Landessprache – ein Islamverständnis, das für ihre unmittelbare Umgebung relevant ist. Jeder soll sein eigenes Muslimsein vereinbaren können mit den anderen Identitäten als Mann, Frau, Schweizer, Mensch mit Migrationshintergrund usw. Wir wollen keine Parallelgesellschaften.

Was erwarten Sie als Muslim von der Schweiz?

Ich wünsche mir, dass man nicht nur von unseren Pflichten spricht, sondern uns in dieser Gesellschaft als gleichberechtigte Partner behandelt. Das würde auch die Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften nebst den bestehenden Landeskirchen bedeuten.

Das Gespräch führte Theodora Peter