TANGRAM 40

Die Brandreden der Tastaturhelden. Islamfeindliche Vernetzung: Soziale Medien als Ausgangspunkt

Autor

Der Sozialwissenschaftler Oliver Wäckerlig ist Doktorand am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich. Seine Forschungsfelder sind Islamfeindlichkeit, Religionssoziologie, Netzwerkanalyse. oliver.waeckerlig@uzh.ch

Islamfeindliche Aktivisten nutzen Facebook, YouTube, Twitter oder Blogs, um sich mit geringem Aufwand und wenig Know-how zu vernetzen und Informationen übers Internet zu verbreiten. Die global verbreiteten Verschwörungstheorien über angebliche islamische Unterwanderung – vermischt mit der Angst vor Terror – verfehlen ihre Wirkung nicht.

Im Herbst 2011 machte ein Gerücht die Runde: Moscheen können nicht gebaut werden, wenn der Boden mit einem Schweinekadaver oder durch Schweineblut verunreinigt ist. Wie wurde das Gerücht verbreitet? In Sozialen Medien wurde über einen Vorfall in Spanien berichtet. Ein von islamfeindlichen Aktivisten vergrabener Schweinekadaver habe den Bau einer Moschee verhindert, weil der Boden durch das tote Schwein – das im Islam als unrein gilt – nicht mehr genutzt werden könne.

Solche Gerüchte haben meist einen wahren Kern, denn tatsächlich wurde die geplante Moschee nicht gebaut. Doch der kausale Zusammenhang mit der islamfeindlichen Aktion war einem Wunschdenken entsprungen. So entstand die Legende, die bis heute immer wieder bemüht wird und zu Nachahmungsaktionen in der Schweiz und anderen Ländern führte. Hinzu kommen unzählige Attacken auf bestehende islamische Einrichtungen mit Schweinefüssen, -köpfen oder -blut. Deren Botschaft lautet: Muslime, ihr seid hier unerwünscht. Wir verachten euch und eure Religion. In den Sozialen Medien überbieten sich Tastatur-Helden gegenseitig mit Forderungen, bei dieser oder jener Moschee eine Aktion durchzuführen. Einige tun es dann. Bei anderen gerinnen die Brandreden auch zu Brandsätzen, die sie in Moscheen werfen.

Soziale Medien werden immer häufiger genutzt, um Nachrichten zu konsumieren. Facebook, WhatsApp und YouTube sind dafür in der Schweiz die drei wichtigsten Internet-Plattformen. 45 % aller Schweizerinnen und Schweizer informieren sich wöchentlich über Soziale Medien, bei den 18-24-Jährigen sind sie bereits für 24 % die wichtigste Informationsquelle. Zudem ist für 45 % der Online-Nachrichtennutzer in der Schweiz das Smartphone zum wichtigsten Gerät geworden, um auf Nachrichten zuzugreifen, wie der Länderbericht 2017 des Reuters Institute Digital News Report zeigt.1

Virale Verbreitung von Falschnachrichten

Auf der anderen Seite verschaffen Soziale Medien den Nutzern auch vielfältige Gelegenheiten für Artikulation und Vernetzung. Durch die neuen Möglichkeiten für ungefilterte Äusserungen und Mobilisierung gewinnen daher zivilgesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen in der politischen Kommunikation an Bedeutung.2 Falschnachrichten schüren dabei Emotionen und können sich «viral» verbreiten, wenn sie von vielen Nutzern mit deren Kontakten über die entsprechenden Kanäle geteilt werden. Oftmals greifen dann traditionelle Medien diese Behauptungen auf, weil sie durch die weite Verbreitung als wichtige Nachrichten erscheinen, und weisen auf ihre Falschheit hin, was sie wiederum bekannter macht.3

Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren die «Problematik hasserfüllter, hetzerischer, rassistischer und diskriminierender Äusserungen» in sozialen Netzwerken zugespitzt, wie der Bundesrat im Bericht zur rechtlichen Basis für Social Media vom Mai 2017 schreibt (S. 38).

Woher kommt nun der islamfeindliche Furor, der Emotionen schürt und zu Hassbotschaften und -taten führt? Ab 2004 entwickelte sich eine islamfeindliche Blogosphäre als ein Netzwerk von Weblogs – kurz Blogs –, wie Internet-Journale mit einem oder mehreren Autoren genannt werden. Als 2006 über diese Kanäle Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung verbreitet wurden, die viele andere Zeitungen nicht nachdrucken wollten, stieg die Bekanntheit der islamfeindlichen Websites sprunghaft an und die Zugriffszahlen auf deren täglich aktualisierten Websites steigerten sich über die Jahre kontinuierlich. Diese Entwicklung befeuerte eine Aufbruchstimmung und die Selbstwahrnehmung als einer transnationalen Avantgarde, die «alternative» Informationen über eigene Plattformen verbreitet, um die Bevölkerung über die angebliche islamische Gefahr «aufzuklären». Als die täglichen Kassandrarufe der islamfeindlichen Bewegung auch nach Jahren nicht den gewünschten Widerhall in Gesellschaft und Politik fanden, begannen Verschwörungstheorien zu kursieren, die sich gegen die eigenen Eliten aus Politik und Gesellschaft wenden. Am Internet-Pranger werden die «Verräter» aufgelistet und für ein künftiges Tribunal vorgemerkt.

Die Netzwerke der Islamhasser

Die islamfeindliche Bewegung baut auf verschiedenen Netzwerken auf, die sich gegenseitig überlagern. Die Blogger entwickelten das Bedürfnis, sich ausserhalb des Internets zu treffen und begannen ab 2007 Tagungen zu organisieren, die sie als «Counterjihad», als «Gegen-Islamisierung», bezeichneten. Hier nahmen nun auch Politiker, islamfeindliche Vordenker/innen und Vertreter von Organisationen, die aus Moscheebaukonflikten entstanden waren, teil. Andere Netzwerke sind «Stop Islamisation», «Defence Leagues», Pegida oder die Identitären.

Stop Islamisation

Die Gruppe «Stop Islamisation of Europe» (SIOE) startete 2007 in Dänemark und verbündete sich mit «Stop the Islamization of America» (SIOA), woraus 2012 in New York die transatlantische Dachorganisation «Stop Islamization of Nations» (SION) entstand. Hier war nun auch die «English Defence League» (EDL) involviert, die ab 2009 Dutzende von gewaltaffinen, islamfeindlichen Aufmärschen in englischen Städten veranstaltete. Initiiert und finanziert wurde die EDL durch Blogger, die auf Proteste rechter Fussball-Hooligans in der Stadt Luton aufmerksam wurden. Diese reagierten auf muslimische Proteste gegen eine Parade heimkehrender britischer Soldaten. Die Blogger hatten so das Fussvolk gefunden, um erstmals in Europa Anti-Islam-Kundgebungen mit über tausend Protestierenden durchführen zu können.

Defence Leagues und Pegida

In ganz Europa entstanden Ableger der «Defence Leagues», die aber nicht an den Erfolg der Mutterorganisation anknüpfen konnten. Davon inspiriert wurden 2014 in deutschen Städten über das Jahr verteilt Aufmärsche der «Hooligans gegen Salafisten» (HoGeSa) veranstaltet. Auch hier waren es organisierte rechte Fussball-Hooligans, die von islamfeindlichen Aktivistinnen und Aktivisten mobilisiert und koordiniert wurden. Ende 2014 gelang es schliesslich den «Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) in Dresden verschiedene Gruppierungen zusammenzufassen und dank den Sozialen Medien weiter in die Breite zu mobilisieren. Dadurch wurden explizit islamfeindliche Demonstrationen mit über zehntausend Beteiligten möglich. Der Export der Marke «Pegida» in andere Städte und ins Ausland führte zu radikaleren Ablegern, die allerdings weniger grosse Proteste zu organisieren vermochten.

Alle Gruppierungen sind bestrebt, europaweit aktiv zu werden. SIOE scheiterte 2007 mit einer Grossdemonstration in Brüssel. Die «Defence Leagues» versuchten 2010 in Amsterdam und 2012 in Aarhus eine transeuropäische Organisation zu schaffen, und Pegida rief Anfang 2016 zu europaweiten Aufmärschen am 6. Februar auf, wobei aber nur in Dresden, Prag und Warschau mehr als 1000 Personen mobilisiert werden konnten.

Identitäre

An den Aufmärschen in Deutschland mit dabei waren auch die «Identitären». Diese islamfeindliche Bewegung geht von Frankreich aus und gelangte über Österreich nach Deutschland und in die Schweiz. Im Gegensatz zu den anderen Netzwerken weisen die Identitären ein klareres Profil auf und orientieren sich in ihrer Propaganda systematisch an medialen Verwertungslogiken. Ihre Aktionen zielen nicht auf Massenproteste ab, sondern sind gut vorbereitete, kurze Auftritte (Flashmobs) an symbolträchtigen Orten, die von eigenen Medienteams festgehalten werden. Diese Selbstinszenierungen werden in professionell aufbereiteten Bildern und Videos über soziale Netzwerke verbreitet und erhalten auch Aufmerksamkeit von Massenmedien, die darüber berichten.

An einer islamfeindlichen Konferenz 2010 in Paris trafen sich die Identitären mit SIOE, der Defence League und dem Counterjihad, Stargast war der Walliser SVP-Politiker Oskar Freysinger. Der Referent aus den USA hatte bereits 2009 einen Anlass für den niederländischen Politiker Geert Wilders in Florida organisiert, der seine Wahlkämpfe gerne mit Nordamerika-Tourneen finanziert. Aus der Spendenaktion für Geert Wilders entstand 2011 eine islamfeindliche Organisation in Florida, an deren Gründung wiederum der Counterjihad beteiligt war. Donald Trump war auch dabei und holte sich später Aktivisten in sein Wahlkampfteam, auf die sein Wahlversprechen nach einem Einreisestopp für Muslime zurückgeht.

Die Finanzen hatten sich in Europa (im Gegensatz zu den USA) stets als Achillesferse der islamfeindlichen Bewegung gezeigt, was einem professionellen Aktivismus enge Grenzen setzte. Als sich ab etwa 2012 soziale Netzwerke im deutschsprachigen Raum etablierten, war bloss noch die Fronarbeit von Aktivisten nötig. Für die technologische Infrastruktur und praktisch unbegrenzte Reichweite sorgten Facebook, Youtube und Twitter. Dadurch wurde etwa die grosse Mobilisierungskraft von Pegida möglich, deren ganze Administration über Facebook stattfand. Deshalb traf es Pegida besonders hart, als Facebook (auch auf politischen Druck hin) ihre Seite mit 200 000 Direktkontakten löschte.

Die Identitären sind dagegen breiter aufgestellt, nutzen unterschiedliche soziale Netzwerke und betreiben eigene Websites. Im August charterten sie ein Schiff, um die Flüchtlingsrettung vor der libyschen Küste zu behindern. Als sie bis im Juni gut 60 000 Euro über ihr PayPal-Konto gesammelt hatten, wurde dieses auf öffentlichen Druck hin gesperrt. Danach sprangen Rechtsextreme aus den USA ein, wo die Identitären bereits Fuss fassen konnten, und starteten ein Crowdfunding über eine eigene Plattform. Mit zusätzlichen 200 000 Dollar konnte das Projekt realisiert werden.

1 «Reuters Institute Digital News Report. Ergebnisse für die Schweiz» vom Juni 2017, S. 16. Herausgegeben vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich.

2 «Rechtliche Basis für Social Media: Erneute Standortbestimmung», Bericht des Bundesrats vom Mai 2017.

3 Ebd. S. 12.