Autor
Hansjörg Schmid ist Professor für interreligiöse Ethik und Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg.
hansjoerg.schmid@unifr.ch
Wie in zahlreichen anderen Ländern gibt es in der Schweiz eine verbreitete Abwertung von Muslimen und dem Islam. Muslimfeindlichkeit wird in diesem Beitrag als Konfliktthema einer postsäkularen Gesellschaft verstanden, in der Religion gleichzeitig angefeindet wird und neu an öffentlichem Raum gewinnt. Scharfe Grenzen zwischen Religionskritik und Muslimfeindlichkeit sind dabei nicht leicht zu ziehen.
Rund 20 muslimische Jugendleiter, Männer und Frauen, sind in einem Nebenraum einer Moschee versammelt. Anlass ist ein Workshop, bei dem es um das Thema Muslime und Medien in der Schweiz geht. Der Referent, ein renommierter Journalist, erklärt, wie ein Zeitungsartikel zustande kommt und wie die Medien funktionieren. Er bedauere, dass sich die Muslime nicht stärker öffentlich äussern und auf die Medien zugehen würden. Er wünsche sich mehr muslimische Gesprächspartner und eine stärker proaktive Haltung sowie eine grössere Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Die Aussagen des Journalisten führen zu einer engagierten Debatte. Auf Artikel zum Thema Islam mit einem stark negativen Tenor angesprochen, erläutert der Journalist, dass für die Medien stets das Konfliktuöse im Zentrum stehe. Genauso würde er etwa auch die katholische Kirche und den Papst kritisieren. Daraufhin berichten einige Teilnehmende von Negativerfahrungen, die sie mit Journalisten, aber auch in der Schule oder der Berufswelt gemacht haben. Es werde von ihr erwartet, eine Spezialistin für den Islam und ihr Herkunftsland zu sein, so eine Teilnehmende, wodurch sie sich oft überfordert fühle. Dieser Dialog geht danach nicht weniger angeregt weiter.
Die Debatte ist voll auf der Höhe der Zeit, es geht um die schwache Diskursmacht muslimischer Organisationen, um Lobbyismus, ökonomische und politische Interessen und das unterschiedliche Profil verschiedener Medien. Auf Seiten der Teilnehmenden ist ein leidenschaftliches Interesse zu spüren, aber auch ein Hauch von Resignation. Sie sind gut integriert, selbstkritisch und gebildet. Vor dem Hintergrund teils eigener Diskriminierungserfahrungen nehmen sie Islamkritik sicherlich anders wahr, als das bei einem Kreis junger Katholiken im Blick auf Kirchenkritik der Fall wäre. Die nur in Ansätzen skizzierte Diskussion zeigt, wie verfahren das Thema ist, wie wenig herrschaftsfrei der Diskurs und wie sehr soziale Ungleichheiten und Asymmetrien das Verhältnis von Muslimen und Medien prägen.
Muslimfeindlichkeit stellt kein explizites, aber sicher ein implizites Thema dieser Diskussion dar, auch wenn nicht immer klar ist, wo es um legitime Kritik an Muslimen geht und wo diese endet. Biographische Erfahrungen und Verletzungen führen dazu, dass bei einem die Hemmschwelle höher, bei einem anderen tiefer liegt. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die individuelle Erfahrungsebene ist, auch wenn die Individuen vielfach mit Islambildern konfrontiert werden, in denen kein Raum für individuelle Vielfalt besteht. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, Muslimfeindlichkeit gegenüber dem Begriff Islamophobie den Vorzug zu geben, denn Muslimfeindlichkeit lenkt den Blick nicht auf eine Religion, sondern auf konkrete Personen, denen auch der menschenrechtliche Schutz des Staates gilt. Es geht also nicht darum, eine Religion zu verteidigen, sondern die Würde jedes Menschen und damit die Grundlagen der freiheitlichen Gesellschaft.
Empirische Studien liefern den Nachweis, dass Muslimfeindlichkeit in vielen Ländern weit verbreitet ist. Sie weist ganz unterschiedliche Facetten auf: von Vorurteilen über Diskriminierung bis hin zu Einschüchterungen und Angriffen. Hier soll der Fokus vor allem auf Äusserungen und Einstellungen liegen, die noch im Vorfeld oder an der Schwelle zur Muslimfeindlichkeit stehen. Klärungen auf dieser Ebene können einen Beitrag dazu leisten, Eskalationen den Nährboden zu entziehen.
Das Konzept Muslimfeindlichkeit weist aber auch Grenzen auf: Erstens besteht die Gefahr einer symbolischen Aufladung von Diskursen und Phänomenen, die mit dem Prädikat Muslimfeindlichkeit belegt werden. Es zeigt sich zudem ein Mechanismus, der Islamdebatten insgesamt prägt: Alles wird der Religion zugeschrieben, auch wenn bei den negativen Stereotypen ganz unterschiedliche Faktoren (etwa die Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, der Migrantenstatus) eine Rolle spielen. Die Integrationsdebatte wird über weite Strecken als Islamdebatte geführt. Es wäre kontraproduktiv, diesen islamfokussierenden Trend zu verstärken. Um Konflikte zu bearbeiten ist es hingegen notwendig, zu differenzieren und Muslime nicht nur als Muslime zu betrachten. Zweitens besteht die Gefahr einer Opferrolle und Opfermentalität, wenn Muslime ausschliesslich oder in erster Linie als Objekte von pauschalisierenden Fremdzuschreibungen und feindlichen Handlungen beschrieben werden und sich diese Rolle selbst stark zu eigen machen. Dies verstärkt die Gefahr, dass Menschen in eine resignative Haltung verfallen, sich von der Gesellschaft entfremden und schliesslich abwenden. Mit dieser Kritik wird in keiner Weise geleugnet, dass Menschen Opfer werden und ihnen Leid zugefügt wird, sondern auf die Gefahr einer Verstärkung des Objektstatus verwiesen, der einer Überwindung der Problemlage nicht förderlich ist.
Islam kann als zentraler Konfliktgegenstand einer postsäkularen Gesellschaft verstanden werden, in der völlig gegenläufige Prozesse stattfinden: Einerseits verliert Religion an Boden und wird kritischer denn je angefragt, ja teilweise angefeindet, und andererseits gewinnt Religion wieder neue Bedeutung im öffentlichem Raum. Dafür dient der Islam als Projektionsfläche – ähnlich wie im 19. Jahrhundert um die Judenemanzipation gerungen wurde. Es entsteht somit eine komplexe Diskussionslage mit einander widerstreitenden Positionen. Die einen sehen die öffentliche Präsenz von Religion anhand des Islams als Chance, die anderen als Gefahr, zumal es auch eine Minderheit von Muslimen gibt, die sich so verhalten wie die Feindbilder und die diese damit bestätigen. Islamkritik zu tabuisieren würde in diesem Kontext nicht weiter helfen.
Der Umgang mit Konflikten setzt bei allen Beteiligten die Bereitschaft voraus, sich auf den anderen einzulassen und das Ganze der Gesellschaft im Blick zu behalten. Es ist wichtig, Konflikte kleinteilig zu differenzieren und möglichst auf lokaler Ebene anzusetzen, anstatt sie gleich weltpolitisch aufzuladen. Dann zeigt sich auch, dass es keinen homogenen Kultur- oder Religionskonflikt gibt, sondern je nach Fragestellung die Zugehörigkeit von Menschen zu Konfliktgruppen wechseln kann. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion über die Burka, in der die meisten Muslime zu den Gegnern dieser Bekleidungsform gehören.
Oft sind Islamdebatten Unvereinbarkeitsdiskurse. Sie funktionieren so, dass sie den Islam für unvereinbar mit Gewaltlosigkeit, kritischem Denken, Toleranz, Aufklärung, Säkularisierung und Menschenrechten erklären. Hier sind differenzierende Gegenargumente gefragt. Dies schliesst eine kritische Auseinandersetzung mit bestimmten muslimischen Positionen ein, die selbst spiegelbildlich zur Kritik von derselben Unvereinbarkeit geprägt sind. Sodann geht es um die Arbeit an Einstellungen und Verhaltensweisen. Konflikte müssen fair ausgetragen werden; jede Art diskriminierenden Verhaltens muss geahndet werden. Eine positive Einstellung zu Konflikten als Chance für die Weiterentwicklung der Gesellschaft dient dazu, eine Opfermentalität zu verhindern.
Wenn das Beanspruchen von Deutungshoheit über Muslime zentraler Bestandteil von Muslimfeindlichkeit ist, so kommt Gegendiskursen ein zentraler Stellenwert zu. Gegendiskurse widersprechen etablierten Diskursen, indem sie diese hinterfragen, differenzieren und alternative Deutungen vorbringen. Wenn etwa eine Muslima darlegt, weshalb das Kopftuch für sie Freiheit bedeutet, auch wenn das nicht bei allen Frauen der Fall ist, kann dies ein solcher Gegendiskurs sein. Ausserdem ist es ein Schritt dahin, dass sich nicht nur andere mit ihnen auseinandersetzen, sondern Muslime selbst zu Akteuren des Diskurses werden.
Muslime sind in der Schweiz nicht nur Opfer von Muslimfeindlichkeit, sondern in vielfältiger Hinsicht soziale Akteure, was etwa in ihrem freiwilligen Engagement in Vereinen zum Ausdruck kommt. Das zeigt auch das Projekt «Muslimische Organisationen als gesellschaftliche Akteure», in dessen Rahmen das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg mit muslimischen Partnern Workshops zu unterschiedlichen Fragen gesellschaftlicher Partizipation durchführt – von der Jugendarbeit über Seelsorge bis hin zur Prävention gegen Radikalisierung. Mit dem Fokus auf Partizipation kommt ein anderes Bild vom Islam zum Ausdruck, das nicht nur Missstände, sondern auch Ressourcen in den Blick nimmt. Hier besteht Raum, Alltagserfahrungen zur Sprache zu bringen. Muslime haben dabei die Möglichkeit, ihre Identität, ihre Praxis und ihre Religion selbst zu definieren gegen eine «Semantik der Eigentlichkeit» (Heiner Bielefeldt), die immer schon besser weiss, wie der Islam eigentlich ist und Muslimen letzten Endes ihre Individualität und ihre Einbettung in den konkreten gesellschaftlichen Kontext raubt. Sie werden nicht für Handlungen anderer in Kollektivverantwortung genommen, sondern können selbst einen Handlungsraum bestimmen. Es geht dabei um Umdeutungen einseitiger Zuschreibungen und um die Transformation von Konflikten. Die Anfragen der Islamkritik dürfen dabei keinesfalls ausgeklammert werden – im Gegenteil: Der kritische Islamdiskurs muss geführt werden, da jede Diskursverweigerung zu dessen Bestätigung dienen könnte.
Es wird aber auf die Möglichkeiten von Kommunikation und die Klärung auch heikler Fragen gesetzt. Mit dem Fokus auf «gesellschaftliche Akteure» wird nicht eine lähmende Passivität, sondern Aktivität im Sinne eines bürgerschaftlichen Engagements in den Blick genommen. Gegendiskurse sollten aber nicht so weit gehen, dass in ihnen das Muslimsein gar nicht mehr vorkommen kann. Es geht somit um ein bürgerschaftliches Engagement, das religiöse Aspekte im Sinne multipler Identitäten nicht ausklammert sondern einschliesst.
Bibliografie
Bielefeldt, Heiner, Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft, Bielefeld 2007
Galtung, Johan, Konflikte und Konfliktlösungen. Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, Berlin 2007
Hamdan, Hussein/Schmid, Hansjörg, Junge Muslime als Partner. Ein empiriebasierter Kompass für die praktische Arbeit, Weinheim 2014
Sayyid, Salman, A Measure of Islamophobia, in: Islamophobia Studies Journal Vol. 2, No. 1 (2014)