Autorin
Rifa’at Lenzin ist Theologin und Islam-Expertin, Mitglied der EKR, Präsidentin der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz IRAS-COTIS, Fachreferentin Islam am Zürcher Institut für interreligiösen Dialog ZIID. rifaat.lenzin@bluewin.ch
An der Fachtagung in Freiburg kamen auch diejenigen zu Wort, über die sonst gesprochen wird, wenn von Islam und Muslimen die Rede ist. An einem Podiumsgespräch mit vier Musliminnen und Muslimen wurde deutlich, wie wenig ihr Selbstverständnis mit dem Bild gemein hat, das in Medien und Gesellschaft von den Muslimen gezeichnet und geprägt wird.
Jeder und jede der vier Teilnehmenden brachte eine je eigene, individuelle Perspektive in das vom Journalisten Christoph Keller moderierte Podiumsgespräch ein:
Die 22-jährige Nida-Errahmen Ajmi, Studentin der Soziologie und Kommunikationswissenschaften, betreibt als «Nidonite» einen eigenen Blog und pflegt als Zeichnerin einen kreativ-künstlerischen Umgang mit dem Thema Islam, Muslime, Kopftuch.
Der 25-jährige Abduselam Halilovic, Student der Islamwissenschaft, engagiert sich in vielfältiger Weise innerhalb seiner Gemeinschaft und auch ausserhalb interreligiös und gesellschaftspolitisch. Von ihm wird immer wieder erwartet, dass er sich positioniert und erklärt, was Islam ist.
Der 51-jährige Montassar BenMrad, EPFL-Absolvent, in leitender Funktion in der Privatwirtschaft, setzt sich als Präsident der grössten muslimischen Dachorganisation für den Aufbau tragfähiger Strukturen und einen konstruktiven gesellschaftlichen Dialog ein.
Die 63-jährige Autorin dieses Beitrags, Islamwissenschaftlerin, engagiert sich seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen für den interreligiösen Dialog und hofft unverdrossen, durch die Vermittlung von Wissen auf einen sachlicheren Umgang mit dem Thema Islam und Muslime hinzuwirken.
Sie alle verkörpern auf ihre Weise schweizerische Normalität, die aber nicht als solche anerkannt wird. «Integriert aber nicht akzeptiert», formuliert es Wolfgang Benz in seinem Beitrag zur Begriffserklärung von «Muslimfeindlichkeit». Die Podiumsteilnehmenden verbindet deshalb das Ringen um Anerkennung als Teil dieser Gesellschaft oder mit den Worten Montassar BenMrads: «Wir wünschen uns einfach, als normale Bürger muslimischen Glaubens und als Partner anerkannt zu werden, ohne dass unsere Loyalität gegenüber der Schweiz oder dem Rechtsstaats stetig angezweifelt wird.» Anerkennung als Individuen aber auch als muslimische Gemeinschaft. Gerade die staatliche Anerkennung der muslimischen Gemeinschaft, für die sich Leute wie BenMrad seit Jahren einsetzen, ist eine äusserst harzige Angelegenheit. Die Rolle der Muslime wird dabei durchaus auch selbstkritisch gesehen, wenn Nida-Errahmen Ajmi auf die Notwendigkeit von gegenseitiger Transparenz und von gegenseitigem Vertrauen hinweist: «En tant que citoyens suisses, tout fonctionnement nécessite de la transparence basée sur de la confiance. Or cette transparence et confiance doivent être réciproques afin de ne pas susciter d'un côté des attentes exacerbées ou une peur fantasmagorique. Et ce, autant chez le musulman que le ‹non-musulman›.»1
Als problematisch empfinden die Muslime, dass der Islam in der Schweiz zurzeit fast ausschliesslich von den Extremen her definiert wird. Auf der einen Seite die fundamentalistisch-salafistischen Kreise und auf der anderen Seite die sogenannt «säkular-fortschrittlichen». Die Mitte fällt buchstäblich aus dem Bild. Eine innermuslimische Debatte wird zwar von aussen immer wieder gefordert, gleichzeitig wird ebenfalls von aussen mittels medialer Aufmerksamkeit mehr oder weniger direkt vorgegeben, in welche Richtung
diese Debatte nach Ansicht dieser Kreise gehen muss. Damit wird eine – in der Tat dringend nötige – innermuslimische Diskussion aber erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. Wozu und worüber sollen Muslime diskutieren, wenn das einzige gesellschaftlich akzeptierte Resultat bereits feststeht? «Eine von aussen aufgezwungene und in bestimmte Bahnen gesteuerte innermuslimische Debatte zum Selbstverständnis und den Werten von Schweizer Muslimen ist nicht zielführend», konstatierte Abduselam Halilovic. Jedoch «könnten sich die ‹normalen› Muslime auch von sich aus aktiver im öffentlichen Diskurs einbringen.» Er drückt damit für die Schweiz aus, was der Paderborner Wissenschaftler Klaus von Stosch, Leiter des dortigen Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften, 2010 für Deutschland unter dem Titel «Querdenker gesucht» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung scharfsinnig und treffend wie folgt analysiert hat:
Um die traditionell-konservativen Muslime in Schach zu halten und fundamentalistisch-salafitische Gruppierungen zu neutralisieren, setzt die Politik heute ausschliesslich auf modernistische, sogenannt ‹fortschrittlich-säkulare› Muslime, […] deren Bemühen ganz und gar darauf ausgerichtet ist, den Islam möglichst störungsfrei in unsere Gesellschaft einzuordnen. Die Modernisten betreiben geschickte Lobbyarbeit […], werden aber niemals die gewünschte Integration der in Deutschland lebenden Muslime voranbringen, weil bereits etwas gebildetere Gläubige merken, wie wenig fundiert ihre modernistische Lesart des Islam eigentlich ist. […] So bleibt die dritte Gruppe von Muslimen, die einerseits vorbehaltlos unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und die säkulare Organisation unseres Gemeinwesens bejaht, die zugleich aber eine Sensibilität für die Dialektik der Aufklärung und der mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Prozesse mitbringt. Nur diese Gruppe kann durch theologische Reflexion die emanzipatorischen Potentiale islamischen Denkens freilegen und ein dialektisches Verhältnis zwischen dem Islam und unserer Gesellschaft begründen. Leider hat diese Gruppe kaum eine Lobby, weil sie der Politik nicht angepasst genug und weil sie vielen Muslimen schon zu progressiv ist.
Das Podium gab keine abschliessenden Antworten, sondern vermittelte ein Stimmungsbild. Spürbar zum Ausdruck kam die Frustration und Ratlosigkeit derer, die sich seit Jahren für einen Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einsetzen, sei es auf interreligiöser oder gesellschaftspolitischer Ebene. Ein messbarer Erfolg war diesen Bemühungen offensichtlich nicht beschieden wie das Minarettverbot und die zu Stande gekommene Initiative für ein Burkaverbot zeigen.
Das Podiumsgespräch zeigte aber vor allem, dass die teilnehmenden Musliminnen und Muslime keinen Gegensatz sehen zwischen ihrer Religion und ihrer Citoyenneté. Sie wollen aber «nicht länger Objekte der Polemik von Politikern, Medien und Wissenschaftlern sein, sondern Partner und gesellschaftliche Akteure, mit denen man die Zukunft zusammen aufbauen kann.» (M. BenMrad).
Die Herausforderungen heute und vermehrt noch in der Zukunft werden die Pluralisierung der Gesellschaft und die Diversität sein, auf die auch Samuel Behloul in seinem Beitrag hinweist. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben wird die Konstruktion von Differenz in ein «Ihr» und «Wir», wie sie von Medien, Politik und Gesellschaft betrieben wird, wenig hilfreich sein.
1 «Damit man als Schweizer Bürgerin und Bürger aktiv sein kann, braucht es eine auf Vertrauen beruhende Transparenz, und diese Transparenz und dieses Vertrauen müssen auf beiden Seiten vorhanden sein, sodass nicht übertriebene Erwartungen oder diffuse Ängste entstehen. Dies gilt sowohl für Muslime als auch für Nicht-Muslime».
Une incarnation de la normalité suisse
(Kurzversion)
La loro aspirazione? Il riconoscimento della normalità
(Kurzversion)