TANGRAM 37

Likrat – Begegnung mit dem Judentum

Autorin

Lea Bloch, Stellvertretende Leiterin Kommunikation und Information SIG Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund. lea.bloch@swissjews.ch

Likrat ist hebräisch und bedeutet «aufeinander zugehen». Aufeinander zugehen sollen jüdische Jugendliche und gleichaltrige Schüler/innen beim Dialogprojet Likrat des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG. Ziel des Projekts ist es, Vorurteile und Stereotypen gegenüber Juden und dem Judentum abzubauen, interkulturelle und interreligiöse Erfahrungen zu sammeln und Toleranz zu fördern.

Die vom SIG ausgebildeten jüdischen Jugendlichen – sie werden Likratinas respektive Likratinos genannt – besuchen Sekundar- oder Gymnasialklassen. Sie nehmen bei den Treffen die Rolle der Peer Educators ein. Das Konzept der Peer Education – Angehörige einer sozialen Gruppe tauschen sich gegenseitig aus – eignet sich für Likrat besonders gut.

Die Jugendlichen begegnen sich auf Augenhöhe. So fällt den Schülerinnen und Schülern das Lernen leichter und der Lernerfolg ist grösser. Im Idealfall teilen die Jugendlichen das erworbene Wissen wiederum mit ihrer Peergroup. Peer Education bedeutet auch, dass die Likratinas und Likratinos ihr Wissen an andere jüdische Jugendliche weitergeben.

Der Grundsatz jeder Likrat-Begegnung ist, dass alle Fragen gestellt werden dürfen – richtig oder falsch gibt es in dieser Schulstunde nicht. «Was ist anders an einer jüdischen Schule?», «Warum tragen die religiösen Juden nur schwarze Kleidung?» oder «Was magst du besonders an deiner Religion?» sind häufige Fragen, aber auch: «Wünschst du dir einen jüdischen Partner?». Bei den allermeisten Likrat-Begegnungen zeigen die Jugendlichen grosses Interesse und stellen auch kritische und persönliche Fragen. Die Likratinas und Likratinos erzählen von ihrem Judentum, so wie sie es persönlich ausleben. «Isst du koscher?» ist eine Frage, die die Likratinas und Likratinos häufig unterschiedlich beantworten. Die Schülerinnen und Schüler merken, dass es kein einheitliches Judentum gibt. Vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler scheuen sich nicht zu sagen, was sie denken: Sie stellen auch Fragen, vor welchen Erwachsene zurückschrecken, aus Angst als Antisemiten bezeichnet zu werden.

Likrat vermittelt das Judentum auf eine lebendige und einprägsame Art. Die jüdischen Jugendlichen geben dem Judentum ein Gesicht – ein Lehrbuch kann das nicht. Die Schülerinnen und Schüler stellen oft erstaunt fest, dass die Likratinas und Likratinos Fans desselben Fussballclubs sind und zur selben Musik tanzen. Oder sie erkennen, dass «Juden ja ganz normale Menschen sind», wie es einmal eine Schülerin ausdrückte, die zuvor noch nie mit einer Jüdin gesprochen hatte. Die Jugendlichen realisieren, dass sie sich nur in wenigen Punkten von ihren jüdischen Altersgenossen unterscheiden, aber dieselben Sorgen und Ängste, aber auch Träume und Hoffnungen teilen.

Das Dialogprojekt ist vor 14 Jahren ins Leben gerufen worden. In diesem Zeitraum haben die Likratinas und Likratinos über 4’00 Schulklassen besucht. Mittlerweile finden auch Begegnungen in der Romandie und sogar in Österreich und Deutschland statt. In Zukunft wird der SIG das Projekt auch für Unternehmen, die regelmässig mit jüdischen Klienten in Kontakt kommen, anbieten.