TANGRAM 37

Schulung von Flüchtlingskindern in Riggisberg

Christine Bär-Zehnder ist Gemeindepräsidentin von Riggisberg (BE). Für ihr Engagement zugunsten der Flüchtlinge wurde sie 2015 mit dem Swiss Award in der Kategorie Politik ausgezeichnet.
christine.baer@riggisberg.ch

Die Berner Gemeinde Riggisberg beherbergte während eineinhalb Jahren freiwillig 150 Flüchtlinge in einem Durchgangszentrum. Das 2500 Einwohner zählende Dorf war die einzige Gemeinde, die sich auf einen dringenden Aufruf der Kantonsbehörden nach Bereitstellung von Asylunterkünften gemeldet hatte. Kirche, Schule, Polizei, Zentrumsleitung, Wohnheim, Abwarte und viele mehr unterstützten den Gemeinderat in dieser Aufgabe und setzten sich in ihren Arbeitsfeldern für die Asylsuchenden ein. An einem Runden Tisch traf man sich regelmässig, um den Stand der Arbeiten und die Erfahrungen auszutauschen.

Unter den Flüchtlingen befanden sich auch Kinder. Nach dem Grundsatz, dass jedes Kind in der Schweiz das Recht auf Bildung hat, wurde nach einer Lösung für eine schnelle Integration der Kinder in die Schule gesucht. Gemeinsam mit der Schulleitung und einer zusätzlich angestellten Lehrperson wurde schliesslich ein Konzept für die Schulung von Flüchtlingskindern entwickelt: Zehn bis zwölf vom Kanton zugesprochene Wochenlektionen wurden möglichst gleichmässig verteilt für den Deutschunterricht eingesetzt. In der restlichen Unterrichtszeit sollten die Kinder ihrem Alter entsprechend eine Regelklasse besuchen und dort vor allem bei sprachunabhängigen Fächern mitmachen wie zum Beispiel Sport, Werken oder Musik. Weiter sollten sie selbstverständlich auch bei ausserschulischen Aktivitäten dabei sein, etwa bei Klassenausflügen und Sporttagen.

Um die Lehrer auf diese spezielle Herausforderung vorzubereiten und ihnen den Einstieg im Umgang mit den Flüchtlingskindern zu erleichtern, wurde ein Informationsanlass mit Workshops organisiert. Da das Durchgangszentrum innerhalb der Dorfbevölkerung nicht überall auf Begeisterung stiess, wurden auch die Eltern umfassend informiert. Damit sollte die Skepsis gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingskindern in Regelklassen abgebaut werden. Doch auch die Schüler/innen wurden nicht ohne Vorbereitung mit dieser neuen Situation konfrontiert. In den betroffenen Klassen wurde deshalb die Situation der Flüchtlinge thematisiert und auftretende Probleme im Klassenverband aufgegriffen. Ein wesentliches Thema war dabei nicht nur die Aufnahme der neuen Schüler, sondern ebenso deren Verabschiedung. Ein wichtiger Gesprächspunkt war auch die Verarbeitung des Verlustes, falls sich ein Schulkind nicht von seinen temporären Klassenkameraden verabschieden konnte, weil der Aufenthalt einer Flüchtlingsfamilie manchmal abrupt endete.

Der pädagogische Schwerpunkt des Deutschunterrichts konzentrierte sich nicht in erster Linie auf den Spracherwerb. Viel wichtiger war es, den Flüchtlingskindern eine geregelte Tagesstruktur zu geben, damit sie sich wieder in einem normalen Alltag zurechtfinden konnten. Der Austausch mit Gleichaltrigen gab ihnen die Möglichkeit, ihre neu erworbenen Kenntnisse anzuwenden, und war zugleich ein vorsichtiges Heranführen an die hiesige Kultur. Dass dies ausserhalb des isolierten Rahmens eines Flüchtlingszentrums geschah, bot den Kindern eine positive Schulerfahrung und ermöglichte ihnen, auch einfach nur Kind sein zu dürfen.