TANGRAM 38

Editorial: Die Justiz muss für alle zugänglich sein

Martine Brunschwig Graf ist Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR

Bereits 2010 publizierte die EKR eine Analyse und einige Empfehlungen im Hinblick auf die Ergänzung der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Rassendiskriminierung. Sie machte Vorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen, um namentlich das Diskriminierungsverbot im Privatrecht, das die Beziehungen zwischen den Privatpersonen regelt, stärker zu verankern. Inzwischen schrei-ben wir das Jahr 2016, und es besteht auch jetzt kein klarer politischer Wille, die gesetzlichen Bestimmungen so auszugestalten, dass geschädigte Personen ihre Rechte bei einem Verdacht auf Rassendiskriminierung bei der Stellenbewerbung, der Arbeit oder der Wohnungssuche – kurz, in allen Beziehungen des Alltags – geltend machen könnten.

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz empfiehlt den Schweizer Behörden seit Jahren, im Zivil- und Verwaltungsrecht den Schutz der Opfer von Rassendiskriminierung zu verstärken. Und das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte hat vor kurzen eine Studie zum gleichen Thema verfasst und Vorschläge formuliert, die in die gleiche Richtung zielen.

Die Bundesbehörden haben jüngst bekräftigt, dass sie in dieser Frage nicht gesetzgeberisch tätig werden wollen. Die Chancen für eine rasche Veränderung der Situation sind also gering.

Unter diesen Voraussetzungen müssen sich die bestehenden Instrumente auf konkrete, unmittelbar umsetzbare Massnahmen konzentrieren. Die vorliegende Ausgabe des TANGRAM befasst sich mit den festgestellten Gesetzeslücken und den Folgen für die Betroffenen, weist aber auch auf die ausserrechtlichen Mittel hin, mit denen die Bekämpfung und die Prävention der Rassendiskriminierung im Alltag weitergeführt werden können.

An dieser Stelle soll die Arbeit all jener verdankt werden, die in den Beratungsstellen für Rassismusbekämpfung in der Schweiz tätig sind. Zu ihnen kommen die potentiellen Opfer, hier werden sie angehört und professionell beraten. Diese Zentren werden auch bei der Lösung von Konflikten gerne beigezogen. Nicht alles kann vor Gericht geregelt werden. Diese Nummer des TANGRAM widmet sich einerseits dem Zugang zur Justiz, andererseits wird darin aber auch auf Ombuds- und Schlichtungsstellen hingewiesen.

Prävention geschieht über Bewusstseinsbildung und Verhaltensveränderung. Bei einem Diskriminierungsverdacht kann der Dialog eine Situation oft entschärfen und den Akteuren ihre Rechte… und Pflichten bewusst machen.

Die strategische Planung der EKR für die kommenden Jahre sieht die Prüfung konkreter Fälle und Situationen vor, anhand derer die Problematik im Alltag dargestellt werden kann. Nicht von ungefähr hält Artikel 8 der Bundesverfassung fest:

«Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.»

Dieser Artikel darf nicht toter Buchstabe bleiben. Er gilt für die Bekämpfung von Rassismus, und auch für die Bekämpfung aller anderen Motive der Diskriminierung.