TANGRAM 38

Zuhören, Beraten und Vermitteln. Der Beitrag parlamentarischer Ombudsstellen – Erfahrungen aus der Zürcher Praxis

Claudia Kaufmann ist Ombudsfrau der Stadt Zürich.
Claudia.Kaufmann.omb@zuerich.ch

Die parlamentarische Ombudsstelle der Stadt Zürich besteht seit 45 Jahren. Als erste Ombudsstelle der Schweiz und erste lokale Ombudsstelle in Europa verfügt sie über eine reiche Erfahrung zu den Möglichkeiten und Grenzen der aussergerichtlichen Konfliktbewältigung.

Als Ombudsfrau erfahre ich regelmässig die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf einen wirksamen Zugang zum Recht und der Möglichkeit vieler Bürgerinnen und Bürger, ihre Rechte im Alltag auch tatsächlich durchsetzen zu können. Dies ist der Ausgangspunkt der Ombudsarbeit, die versucht, diese Kluft zu überwinden: Als niederschwellige Alternative zum ordentlichen Rechtsverfahren und als aussergerichtlicher Rechtsschutz erleichtert sie Beschwerdemöglichkeiten, die Wahrnehmung von Rechten und gewährt somit auch rechtsstaatliche Partizipation und gesellschaftliche Teilnahme.

In Zentrum steht die Idee, zu den bestehenden, rechtsstaatlich garantierten Einsprache- und Beschwerdemöglichkeiten ein niederschwelliges, möglichst barrierefreies und sämtlichen Kreisen der Bevölkerung zugängliches Instrument zu schaffen, an das sie sich bei Problemen, Unklarheiten und Missverständnissen im Umgang mit der Verwaltung oder einer staatlichen Behörde wenden können. Dies gilt ebenso für das Bedürfnis nach Beratung und Vermittlung wie auch für die Einreichung einer Beschwerde. Wichtig bleibt, dass parlamentarische Ombudsstellen ergänzende Verfahren zu sämtlichen andern bestehenden Beschwerde- und Rekursmöglichkeiten anbieten, niemals deren Ersatz. Dies ist in der Beratung stets mitzubedenken und anzusprechen: Bürgerinnen und Bürgern sind die alternativen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die Chancen und Risiken beispielsweise einer formellen Einsprache, einer Gerichtsklage, einer Eingabe an die Aufsichtsbehörde. Ombudsstellen wären schlecht beraten, sich als Konkurrenz zu formellen Verfahren zu verstehen. Sie stehen ausschliesslich im Dienste der Durchsetzung von Recht und Billigkeit staatlichen Handelns, der für Bürgerinnen und Bürger leicht zugänglichen und nachvollziehbaren Wahrnehmung ihrer Rechte sowie der Förderung einer guten Verwaltungsführung.

Es gehört mit zu den grossen Vorteilen einer Ombudsperson, dass sie ihr Verfahren und ihre Vorgehensweise selbst bestimmen kann. Das bedeutet, sie entscheidet, ob sie zum Beispiel mit dem Klienten oder der Klientin als erstes eine Sprechstunde vereinbart oder die Verwaltung um die Zustellung sämtlicher Akten bittet oder die Parteien zu einem Vermittlungsgespräch einlädt oder das schriftliche Verfahren wählt und ein Vernehmlassungsverfahren eröffnet. Sie hat also bezüglich ihrer eigenen Arbeitsweise ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten (mit Ausnahme des Entscheidungs- oder Weisungsrechts). Und so, wie sie die Eignung der einzelnen Möglichkeiten mit den Klientinnen und Klienten vorgängig bespricht, so gehört es zu einem transparenten und professionellen Vorgehen, mit ihnen auch die Handlungsoptionen ausserhalb der Ombudstätigkeit zu erörtern.

Ombudsstelle als Einstiegserleichterung für die Betroffenen

Beschwerden an die Ombudsstellen können formlos eingereicht werden (per Mail, telefonisch oder selbst anlässlich eines Spontanbesuchs), sie sind an keinerlei Fristen gebunden und sie müssen auch nicht besonders begründet werden. Oft wird aus dem Erstkontakt nicht einmal ersichtlich, was der Beschwerdegegenstand sein könnte, durch welche Handlung ein Amt sich nicht korrekt verhalten haben soll oder welche Rechtsverletzung die Betroffenen für sich wahrnehmen. Gerade in Fällen, in denen es um erlebte Diskriminierung, Ausgrenzung und Diffamierung geht, fällt das Benennen der wahrgenommenen Unrechtserfahrung häufig schwer. Für viele Betroffene sind die Verletzung, der Schmerz, die Erniedrigung, die Scham und die Ängste zu gross, als dass sie das Erlebte offen als Diskriminierung bezeichnen wollen oder können. Teils braucht es mehrere Besprechungen, in denen das Vertrauen zur Ombudsperson erst aufgebaut und gestärkt werden muss – teils längere Zeit der Reflexion –, bis jemand bereit ist, den Hintergrund des Erlebten anzugehen und der Ombudsstelle auch die Zustimmung zu geben, das Thema Diskriminierung aktiv mit der Verwaltung zu behandeln. Auf den Punkt bringt dies die Feststellung der EKR-Präsidentin Martine Brunschwig Graf: «Zuhören, Beraten und Begleiten sind zentrale Aufgaben bei der Bekämpfung von Rassismus» in ihrem Vorwort zum Bericht der Tätigkeit 2015 des Beratungsnetzes für Rassismusopfer.

Das sehr flexible, auf den Einzelfall ausrichtbare Verfahren der Ombudsstelle kann hier Wesentliches zu einer angemessenen Bearbeitung beitragen. Gerade bei erfahrenen Diskriminierungen wird von den Betroffenen das Vermittlungsgespräch auf der Ombudsstelle mit der Vertretung der betroffenen Verwaltung einem schriftlichen Beschwerdeverfahren oder gar einem gerichtlichen Vorgehen häufig vorgezogen. Neben den klassischen Hürden wie lange Verfahrensdauer, Beweisschwierigkeiten, Kostenrisiko, Unvertrautsein mit dem Prozessrecht und den Gerichtsbehörden wird immer wieder das Bedürfnis genannt, im geschützten und allparteilichen Rahmen der Ombudsstelle ein Gespräch mit den zuständigen Verwaltungsmitarbeitenden auf Augenhöhe führen zu können. Zum einen, um ihnen ausführlich zu berichten, wie man die Diskriminierung wahrgenommen, erlebt hat, und sie aufzufordern, sich in die Perspektive der Betroffenen einzudenken. Zum andern aber auch, um brennende Fragen zum Ablauf, zu den Beweggründen, zu einzelnen Äusserungen zu klären.

Wir hören immer wieder: «Ein ehrliches Gespräch, in dem mir das Gegenüber in die Augen schaut und mir zuhört, was ich erlebt und wie ich sein Verhalten wahrgenommen habe, ist mir wichtiger als eine allfällige Busse, die der Beamte oder die Beamtin allenfalls erhalten würde. Und wenn die entsprechende Person sich am Schluss gar aufrichtig entschuldigen kann für ihr Verhalten bzw. für das entstandene Missverständnis oder auch ausdrückt, es tue ihr leid, was der Vorfall bei mir ausgelöst hat und wie er bei mir angekommen ist, dann habe ich mein Ziel erreicht.» Gerade im Umgang mit der Polizei erfahren wir diese Haltung häufig. Denn Betroffene, so auch bei erfahrenem Racial Profiling, wünschen sich eine Vermittlung und Tätigkeit der Ombudsperson, die künftige alltagstaugliche Begegnungen mit Polizistinnen und Polizisten erlauben und wieder möglich machen. Sie sind realistisch genug, um zu wissen, dass sie mit Personenkontrollen und Kontakten mit der Polizei auch weiterhin rechnen müssen.

Das Recht, das Verfahren selbst zu bestimmen, ist für die Ombudsperson auch eine Pflicht. Denn sie hat jeweils die Chancen zu nutzen, in jedem einzelnen Fall das angemessene, zumutbare und erfolgversprechende Vorgehen für alle Beteiligten zu bestimmen. Dazu gehört neben der Empathie für die Beschwerdeführenden auch die Einhaltung der Fairness gegenüber der Verwaltung. Sie hat dabei weder auf formelle Beweisverfahrensregeln zu achten, noch stehen Zeit, persönlicher Aufwand oder Kosten des Verfahrens im Vordergrund.

Vertraulichkeit vs. Enttabuisierung:
Mögliche Interessenkollisionen

Parlamentarische Ombudsstellen arbeiten vertraulich und stehen unter der Geheimhaltungspflicht. Dies ist für das Vertrauen, das ihr viele Klientinnen und Klienten entgegenbringen, entscheidend – aber auch Voraussetzung dafür, dass der Kontakt zur Ombudsperson überhaupt gesucht wird. Die Vertraulichkeit beinhaltet ebenso, dass die Ombudsperson mit der Verwaltung nur mit Zustimmung der Klientin oder des Klienten Kontakt aufnehmen, die Akten einsehen oder zu einem Vermittlungsgespräch einladen kann. Und selbst dort, wo es zu Kontakten zwischen der Ombudsperson und der Verwaltung kommt, bleiben die Ergebnisse grundsätzlich nur den Parteien bekannt.

Dieser für die Betroffenen so wichtige Schutz kann im öffentlichen Diskurs um Diskriminierungen hinderlich sein. Denn ein wirkungsvolles Vorgehen gegen strukturelle und institutionelle Diskriminierung verlangt als Erstes die Enttabuisierung, das Öffentlichmachen und das Aufzeigen der Häufigkeit und Alltäglichkeit von Diskriminierungserfahrungen. Ombudsarbeit will und kann einen Beitrag dazu leisten. Nur darf dieser nie auf dem Buckel der Beschwerdeführenden erfolgen. Auch hier ist ihnen in der Beratung die Breite an möglichen Massnahmen aufzuzeigen, die vom Respekt der gewünschten absoluten Geheimhaltung über die Verwendung ihrer Angaben unter ihrem Namen nur im verwaltungsinternen Verkehr bis zu einer Offenlegung ihrer Erfahrungen in einem breiteren Rahmen gehen. Der Entscheid muss schliesslich stets bei den Klientinnen und Klienten liegen.

Anonymisierte Fallbeispiele publik machen

Dennoch hat die Ombudsstelle Möglichkeiten, ihre Zielsetzung über die Behandlung der Einzelfälle hinaus aktiv zu verfolgen, auch bezüglich der nachhaltigen Bekämpfung von Diskriminierungen. So kann sie das Gespräch mit den Verantwortlichen in der Verwaltung suchen und ihre Erfahrungen in einer generalisierten Analyse der Problemstellung weitergeben. Ihr Jahresbericht gibt ihr zudem die Gelegenheit, in anonymisierten und zu den Personalien der Betroffenen unkenntlich gemachten Fallbeispielen Themen aufzunehmen und diese dann auch in einer grundlegenden juristischen und rechtspolitischen Weise zu bearbeiten. Auch die regelmässigen Aussprachen mit den für die Ombudsstelle zuständigen parlamentarischen Kommissionen (meist Geschäftsprüfungs- oder Justizkommission) bieten sich für eine wirkungsvolle Thematisierung an.

Und schliesslich: Ombudsstellen arbeiten zwar vertraulich und suchen das mediale Rampenlicht nicht. Aber sie sollen die Kontakte zu Beratungsstellen, Anlaufstellen und NGOs pflegen. Zum einen ist der Austausch für alle Beteiligten wertvoll und lehrreich. Auch hier können wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse in einer geeigneten Form ausgetauscht werden. Zum andern geben diese Kontakte nebenbei auch die gewünschte Gelegenheit, die Ombudsstelle und ihre Arbeit wichtigen Key-Playern der Zivilgesellschaft vorzustellen und vertrauensbildend zu wirken. Denn eine Ombudsstelle, die man nicht kennt und eine Ombudsperson, zu der die Bevölkerung kein Vertrauen hat, bleibt wirkungslos.