Autorin
Ricarda Ettlin ist Psychologin und Projektleiterin bei der Beratungsfirma socialdesign ag.
ricarda.ettlin@socialdesign.ch
Opfer von Diskriminierung sollen Zugang zu kompetenter Beratung und Unterstützung erhalten. Dieses Ziel setzen die Kantone seit 2014 im Rahmen der Kantonalen Integrationsprogramme um. Die vielfältigen kantonalen Beratungsangebote lassen sich drei Organisationsmodellen zuordnen.
Der Diskriminierungsschutz bildet einen von gesamthaft acht Förderbereichen der Kantonalen Integrationsprogramme (KIP) und fällt in den Verantwortungsbereich der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB). Eines der strategischen Ziele des Förderbereichs Diskriminierungsschutz hält fest, dass «Menschen, die aufgrund von Herkunft oder Rasse diskriminiert werden, über kompetente Beratung und Unterstützung verfügen» sollen. In der praktischen Umsetzung setzt dieses Ziel professionelle Beratungsstellen voraus, an welche sich Opfer von Diskriminierung wenden können. Ein solches Beratungsangebot richtet sich sowohl an Migrantinnen und Migranten, die im Fokus der Integrationsarbeit stehen, als auch an Schweizerinnen und Schweizer, die diskriminiert werden.
Bei Beginn der Umsetzung der KIP 2014 verfügte gut ein Drittel der Kantone über eine Beratungsstelle für Opfer von Diskriminierung. Diese Kantone setzten sich die Weiterentwicklung des existierenden Beratungsangebotes zur primären Aufgabe. Für die Mehrheit der Kantone, die bislang über keine Beratungsstellen verfügten, stand dagegen die Schaffung und Inbetriebnahme eines entsprechenden Angebotes im Vordergrund. Triebfeder dieser Arbeit sind die kantonalen Fachstellen Integration, welche für die Gesamtumsetzung der KIP verantwortlich sind.
Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über die kantonalen Beratungsangebote, die nach zweijähriger Umsetzung der KIP bestehen und weiterhin in Entwicklung sind. Im ersten Teil werden die Beratungsangebote drei Modellen zugeteilt und anhand von Fallbeispielen diskutiert. Im zweiten Teil werden Fragestellungen aufgegriffen, welche die Umsetzung der Beratungsangebote für Opfer von Diskriminierung kantonsübergreifend prägen.
Knapp die Hälfte der Kantone setzen bei der Schaffung eines Beratungsangebotes auf interkantonale Kooperation. Im Rahmen dieses Modells organisieren sich mindestens zwei Kantone, um gemeinsam eine Beratungsstelle zu schaffen. Die interkantonalen Stellen werden alle von einer verwaltungsexternen Institution betrieben. Je nach Kanton ist inner- oder ausserhalb der Verwaltung eine zusätzliche Anlaufstelle vorhanden, welche explizit niederschwellige Fälle von Diskriminierung behandelt und komplexe Fälle an die verwaltungsexterne Stelle vermittelt. Die Beratungspraxis läuft in diesen, tendenziell grösseren Kantonen somit auf zwei Stufen ab, während in den anderen, hauptsächlich kleineren Kantonen ein einstufiges Verfahren ausschliesslich über die interkantonal zuständige Anlaufstelle vorliegt. Dieser Praxis entsprechend liegen kantonsspezifische Leistungsverträge zwischen dem verwaltungsexternen Betreiber und der zuständigen Fachstellen Integration vor.
Die grösste interkantonale Kooperation besteht aktuell mit dem Beratungsnetz Zentralschweiz, in dem sechs Kantone (Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, Uri, Zug) zusammengeschlossen sind. Innerhalb dieses Netzwerks wird das Beratungsangebot für Opfer von Diskriminierung vom Kompetenzzentrum für interkulturelle Konflikte (TikK) betrieben, wobei die Beratungen in verschiedenen Kantonen zweistufig über eine zusätzliche Anlaufstelle ablaufen. Der Leistungsvertrag für TikK schliesst die Aus- und Weiterbildung und die Supervision von Beratungspersonal mit ein. Typisch für dieses Modell wird damit der interkantonale Erfahrungsaustausch, etwa in Form von Fallbesprechungen, gefördert.
Knapp ein Viertel der Kantone setzt ein Modell mit verwaltungsinterner Beratungsstelle um. Die Beratungen für Opfer von Diskriminierung werden in diesen Kantonen eigens von den Fachstellen Integration resp. einer innerhalb der Fachstelle spezifisch mit dem Beratungsauftrag geschaffenen Stelle ausgeführt. Die Aus- und Weiterbildung des Beratungspersonals erfolgt ebenfalls verwaltungsintern und teilweise auch in Zusammenarbeit mit einer externen Institution.
Ein Beispiel für ein über eine verwaltungsinterne Stelle betriebenes Beratungsangebot bildet der Kanton Neuenburg. Opfer von Diskriminierung können sich hier an eine Beratungsstelle wenden, die sich in die Fachstelle Integration (Service de la cohésion multiculturelle) eingliedert. Ebenfalls über eine verwaltungsinterne Stelle werden Beratungen im Kanton Waadt geführt. Zusätzlich zur Fachstelle Integration des Kantons übernimmt die Fachstelle Integration der Stadt Lausanne eine wichtige Funktion für die Beratung.
Über ein Viertel der Kantone weist ein kantonales Beratungsangebot auf, das von einer oder – in wenigen Fällen – mehreren verwaltungsexternen Stellen betrieben wird. Hinter den Betreibern stehen meist Vereine. Analog den interkantonal organisierten Kantonen setzt man basierend auf diesem Modell ein- oder zweistufige Beratungsverfahren um. Die komplexen Fälle werden immer von der verwaltungsexternen Stelle bearbeitet. In einigen Kantonen ist eine zusätzliche Anlaufstelle für die Bearbeitung niederschwelliger Fälle von Diskriminierung und die Triage von komplexen Fällen verantwortlich; in anderen Kantonen werden alle Fälle direkt von einer verwaltungsexternen Stelle bearbeitet. In manchen Kantonen besteht eine externe Beratungsstelle, in anderen Kantonen werden Netzwerke externer Beratungsstellen aufgebaut.
Beispielhaft für dieses Modell lassen sich die Beratungsstellen in den Kantonen Tessin resp. Genf betrachten: das Centro ascolto razzismo discriminazione (CARDIS) resp. das Centre Ecoute Contre le Racisme (CECR). Diese unabhängigen Stellen werden von Vereinen geführt. Beide Stellen sind für die umfassende Fallbearbeitung verantwortlich und bewerben ihr Angebot proaktiv über eine eigene Website und Kampagnen. Ein Netzwerk von Beratungsstellen ist im Kanton Bern operativ. Die Ansprechstellen Integration agieren hier als erste Anlaufstellen und vermitteln Beratungssuchende für Unterstützung in rechtlichen Fragestellungen an die Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not (RBS) resp. an gggfon, welche als Meldestelle in den Bereichen Intervention und Sozialberatung fungiert.
Eine wichtige übergeordnete Erkenntnis betrifft die Bedeutung der lokalen Verankerung. Die geografische Nähe zur Zielgruppe wird als grundlegende Voraussetzung erachtet, damit Beratungsangebote wahrgenommen und benutzt werden. Als Antwort darauf setzen zahlreiche Kantone ein zweistufiges Verfahren ein. Opfer von Diskriminierung können sich so an eine lokale Anlaufstelle wenden, welche eine Erstberatung vornimmt und je nach Komplexität des Falles eine meist externe Stelle einbezieht, welche geografisch zum Teil weiter entfernt ist. Eine Option besteht auch darin, eine lokale Vertretung der verwaltungsexternen Stelle im Kanton zu etablieren. So besteht beispielsweise im Kanton Basel-Stadt eine Zweigstelle von Stopp Rassismus, die als externe Beratungsstelle für das interkantonale Beratungsnetz Nordwestschweiz tätig ist. Im Kanton Obwalden, der dem interkantonalen Beratungsnetz Zentralschweiz angeschlossen ist, laufen Überlegungen, die Erstberatung ins Pflichtenheft der interkulturellen Vermittlerin zu integrieren, um mehr Nähe zur Bevölkerung zu erreichen.
Im Zusammenhang mit der lokalen Verankerung wird auch die Frage der Öffentlichkeitsarbeit diskutiert. Die Nutzung des Beratungsangebotes setzt die Kenntnis über die Dienstleistung und damit die externe Kommunikation darüber voraus. Dafür setzt die Mehrheit der Kantone eine Website (Rubrik), Broschüren und Flyer ein, die das Beratungsangebot bewerben. In der Umsetzung weiterer Kommunikationsmassnahmen, etwa Informationskampagnen, sind die Kantone unterschiedlich aktiv. Generell wird in Kantonen mit verwaltungsexternen Stellen stärker Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Dies erklärt sich damit, dass die Information über das Beratungsangebot oftmals in einem breiter gefassten Leistungsauftrag zur Sensibilisierung der Bevölkerung festgehalten ist. Es finden sich aber auch Beispiele von verwaltungsinternen Beratungsstellen, welche ihr Angebot proaktiv kommunizieren.
Die Intensität der externen Kommunikation steht in einer Wechselbeziehung mit der verwaltungsinternen Information und damit auch der Schaffung von politischer Legitimation, welcher in vielen Kantonen angesichts der Neuartigkeit des Beratungsangebotes eine wichtige Bedeutung zukommt. Die Sensibilisierung ist daher gesamthaft unabhängig vom Organisationmodell als Fragestellung zu betrachten. Sie hängt zusammen mit dem inner- wie ausserhalb der Verwaltung vorhandenen Bewusstsein für Diskriminierungsschutz und der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Thema. Dieses Bewusstsein ist kantonal sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Eine weitere Schlüsselfrage ist die Professionalisierung des Angebotes bei komplexen Beratungen. Diese werden in Kantonen mit zweistufigem Verfahren durch eine spezialisierte, meist zentrale Beratungsstelle sichergestellt. In Kantonen mit einem einstufigen Vorgehen setzt man darauf, die Kompetenzen der Mitarbeitenden durch Weiterbildungen und Fallbesprechungen weiterzuentwickeln und sie somit zur professionellen Bearbeitung auch komplexer Fälle zu befähigen.
Die verschiedenen Modelle von Beratungsstellen sind historisch gewachsen; die Wahl des jeweiligen Modells erklärt sich massgeblich mit kontextspezifischen Faktoren und der Bedeutung, die ein Kanton der institutionellen Unabhängigkeit seines Beratungsangebotes zuschreibt. Gemeinsam sind den Modellen die übergeordneten Fragestellungen zu lokaler Verankerung, Öffentlichkeitsarbeit, politischer Legitimation und Professionalisierung. Diese werden wiederum auf unterschiedliche Weisen gemäss den kantonalen Rahmenbedingungen und Ressourcen gelöst. Die Gesamtbilanz der laufenden ersten Phase der KIP (2014-17) wird eine wichtige Grundlage bilden, um das übergeordnete Ziel einer kompetenten Beratung und Unterstützung für Opfer von Diskriminierung schweizweit voranzutreiben.