TANGRAM 38

Wenn Diskriminierung «nebenbei» zur Sprache kommt. Wie nicht spezialisierte Stellen potenzielle Fälle erkennen können

Autorin

Die Psychologin und Juristin Eva Wiesendanger ist stellvertretende Leiterin der Fachstelle Rassismusbekämpfung FRB.
eva.wiesendanger@gs-edi.admin.ch

Aufgrund der kantonalen Integrationsprogramme (KIP) bieten heute fast alle Kantone eine spezialisierte Beratung für die Opfer rassistischer Diskriminierung an. Oft kommen aber gerade subtilere diskriminierende Vorfälle in anderen Zusammenhängen zur Sprache.

Häufig erleben Betroffene einen diskriminierenden Vorfall in Zusammenhang mit existentiellen Fragestellungen wie etwa Wohnungs- oder Stellenverlust. Der Vorfall kommt dann «wie nebenbei» etwa im Rahmen eines Gesprächs beim Mieterverband, bei der Gewerkschaft oder beim Schulsozialdienst zur Sprache. Wenn diese Stellen nicht angemessen darauf reagieren und die Personen nicht gezielt weiter vermitteln, nützt auch das professionellste Beratungsangebot wenig.

Es ist für nicht spezialisierte Stellen nicht immer einfach zu erkennen, ob eine rassistische Diskriminierung vorliegt oder nicht. Drei Leitfragen können hier Orientierung bieten:

  • Liegt eine Benachteiligung vor? Wurde die Person ungleich behandelt und wirkt sich dies nachteilig auf sie aus? Eine Benachteiligung kann auch vorliegen, wenn eine Person wie alle andern behandelt wird, obwohl sie ganz andere Voraussetzungen mitbringt.
  • Erfolgt die Benachteiligung aufgrund eines sensiblen Merkmals? Bei rassistischer Diskriminierung geht es vor allem um Merkmale wie Hautfarbe, Physiognomie, Ethnie, Sprache, geographische Herkunft, Religion und (fahrende) Lebensweise.
  • Gibt es legitime und sachliche Gründe für die Benachteiligung? Bei rassistischer Diskriminierung gibt es praktisch keine rechtlich zugelassenen Rechtfertigungsgründe.
Eine nicht spezialisierte Stelle ist zwar nicht unbedingt zuständig für die abschliessende Qualifizierung eines Vorfalls. Sie muss aber potentielle Vorfälle erkennen und aufgrund einer ersten Prüfung korrekt weiter vermitteln können. Das bedingt Grundkenntnisse über die vielfältigen Formen von Diskriminierung und das Bewusstsein dafür, dass die Einschätzung einer Situation immer auch mit der eigenen Geschichte und Erfahrung zusammenhängt.

Die dazu nötige Information und Sensibilisierung kann nur in den jeweiligen Branchen und Organisationen erfolgen. Ein gutes Beispiel liefert der Berufsverband AvenirSocial –
Soziale Arbeit Schweiz. Er stellte fest, dass «auch in der Praxis der Sozialen Arbeit Andeutungen von Klientinnen und Klienten ungehört verhallen oder Sozialarbeitende sich mitunter selber von oft unbewussten Vorurteilen leiten lassen». Angesichts der besonders wichtigen Rolle der Sozialarbeitenden bei der Erkennung und Triage rassistischer Diskriminierung hat der Verband deshalb in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes (FRB) einen Leitfaden zum Thema herausgegeben und organisiert auf Anfrage entsprechende Workshops.

Weitere Beispiele sind auch im Gesundheitswesen zu finden. So bietet das Schweizerische Rote Kreuz Sensibilisierungs- und Bildungsangebote an zur Prävention von rassistischer Diskriminierung. Zu wünschen wäre, dass sich weitere Branchen und Organisationen davon inspirieren lassen. Denn das schweizerische Diskriminierungsschutzrecht ist komplex und gerade im privatrechtlichen Bereich mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden. Umso wichtiger ist es, dass von rassistischer Diskriminierung Betroffene die Vorfälle direkt in ihrem Umfeld besprechen können, um sich dann bei Bedarf an eine spezialisierte Beratung zu wenden. Auch dies ist ein wichtiger Schritt hin zur Sicherstellung des Zugangs zum Recht.

Bibliografie

Rassistische Diskriminierung und Diskriminierungsschutz konkret. Ein Leitfaden für die Praxis der Sozialen Arbeit. Avenir Social, Soziale Arbeit Schweiz, 2016. www.avenirsocial.ch> Aktuell> News> Neuer Leitfaden für die Praxis der Sozialen Arbeit – Rassistische Diskriminierung und Diskriminierungsschutz konkret

www.redcross.ch> Für Sie da> Gesundheit/Integration> Angebote zur Bekämpfung von Rassismus im Gesundheitswesen