TANGRAM 38

Erste Schritte für besseren Zugang zum Recht. Der Bericht über das Recht auf Schutz vor Diskriminierung und seine Folgen

Autor

Martin Naef ist Jurist und Nationalrat der SP.
martin.naef@parl.ch

Vier Jahre nach der Überweisung eines Postulates, das vom Bundesrat einen Bericht zum Recht auf Schutz vor Diskriminierung verlangte, fällt die Bilanz aus Sicht des Urhebers des parlamentarischen Vorstosses durchzogen aus. Obwohl griffige Instrumente nach wie vor fehlen, gibt es trotzdem Grund für vorsichtigen Optimismus.

Am 14. Juni 2012 reichte ich im Nationalrat zusammen mit Mitunterzeichnenden aus fast allen Parteien das Postulat Bericht zum Recht auf Schutz vor Diskriminierung ein. Anlass war vor allem, dass im Bereich des Diskriminierungsschutzes wissenschaftliche Daten zur Rechtswirklichkeit fehlten. Bundesrat und Parlament konnten sich deshalb immer wieder hinter dem angeblichen Funktionieren des Rechtsschutzes und dem Genügen der bestehenden Rechtsgrundlagen verstecken. Bemühungen aus dem Parlament um ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz scheiterten regelmässig. Es blieb aber offensichtlich, dass die Datenlage zur Wirksamkeit des geltenden Rechts namentlich bei der Bekämpfung von ein- und mehrdimensionaler Diskriminierung wegen Herkunft, Rasse, Alter, Sprache, sozialer Stellung, Behinderung, sexueller Orientierung, fahrender Lebensform sowie religiöser, weltanschaulicher oder politischer Überzeugung, Trans- und Intersexualität nicht nur ungenügend ist, sondern solche Daten kaum vorhanden sind.

Des Scheiterns aller Bemühungen um gesetzgeberisches Tun überdrüssig, entschloss ich mich in Absprache mit verschiedenen Organisationen deshalb, den Fokus auf die wissenschaftliche Erfassung der Rechtswirklichkeit zu richten – und dazu den politisch weniger verbindlichen Weg des Postulats zu wählen. Das führte zu einer doch relativ breiten Unterstützung und auch dazu, dass der Bundesrat bereit war, das Postulat anzunehmen. Bekämpft wurde es aus den Reihen der SVP, weshalb es dem Plenum vorgelegt wurde. Die Überweisung des Postulats mit 109 zu 82 Stimmen am 14. Dezember 2012 war ein überraschender und schöner Erfolg.

Ebenso positiv überrascht war ich vom Beschluss des Bundesrates, den Bericht ausserhalb der Verwaltung durch das dafür bestens geeignete Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) ausarbeiten zu lassen. Das brauchte seine Zeit, liess aber darauf hoffen, dass der auf diese Studie gestützte Bericht des Bundesrates kein blosses Abwiegeln und Abwimmeln sein würde. Im Juli 2015 lag die Studie des SKMR vor, am 25. Mai 2016 verabschiedete der Bundesrat nach der Einsetzung einer interdepartementalen Arbeitsgruppe seinen Bericht zuhanden des Parlamentes.

Das Beste vorweg: Mit dem Synthesebericht des SKMR, der auf 11 Teilstudien zu verschiedenen Aspekten und Bereichen von Diskriminierung beruht, liegt erstmals eine umfassende Auslegeordnung über die Rechtsrealität und den Handlungsbedarf im Diskriminierungsschutz der Schweiz vor. Leider verzichtet die Studie ausdrücklich auf die Forderung nach einem allgemeinen Antidiskriminierungsgesetz, enthält aber gleichwohl verschiedene sehr klar formulierte, teilweise mutige Empfehlungen, die sowohl punktuelle Ergänzungen der Rechtsordnung als auch gesellschaftspolitische Massnahmen betreffen. Sie sieht allgemeine Defizite, namentlich im Privatrecht sowie bei LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual). Die wichtigsten Empfehlungen betreffen etwa die Schaffung eines allgemeinen privatrechtlichen Diskriminierungsverbots im Rahmen von Art. 27ff. des Zivilgesetzbuches, die Ausweitung des strafrechtlichen Verbots von Hassreden unter anderem auf Merkmale wie Nationalität oder Aufenthaltsstatus, eine Ausdehnung des Verbandsklage- und Beschwerderechts, eine Beweislasterleichterung für alle Diskriminierungsfälle oder die rechtliche Erfassung von Mehrfachdiskriminierungen.

Der Bundesrat nimmt in seinem Bericht einige dieser Empfehlungen insoweit auf, als er bereit ist, diese weiter zu prüfen – die wesentlichsten Punkte allerdings nicht. Obwohl er klar feststellt, dass im Bereich des Privatrechts Lücken bestehen, will er ausgerechnet hier nicht tätig werden. Zur Begründung führt er an, er befürchte «erneute Diskussionen» und falsche Erwartungen – eine, gelinde gesagt, etwas seltsame Argumentation für eine Regierung.

Ohne überzeugend dargelegte Gründe werden auch weitere zentrale Anliegen wie die Beweislasterleichterung oder die Ausweitung des Schutzbereichs von Art. 261bis des Strafgesetzbuches vom Tisch gefegt. Positiver zeigt sich der Bundesrat bei der Erweiterung des Verbandsklagerechts und der Reduktion der Verfahrenskosten im Zivilverfahren (im Rahmen laufender Gesetzesrevisionen werden diese Anliegen allerdings ohnehin geprüft), oder immer dann, wenn es nicht um gesetzlichen Schutz, sondern um blosse «Sensibilisierung» geht. Das tönt gut, und man kann dabei politisch nicht viel falsch machen.

Obwohl allgemeine Einigkeit besteht, dass der Diskriminierungsschutz in der Schweiz Lücken aufweist, die man eigentlich schliessen sollte, verzichtet man weitgehend darauf, diese Arbeit weiter zu verfolgen oder gar Vorschläge zu machen. Das ist inkonsequent und enttäuschend. Besonders hervorzuheben ist dieses Ungenügen im Bereich der Mehrfachdiskriminierungen und allgemein des Zugangs zum Recht. Zu kurz kommen meiner Meinung nach auch Erwägungen oder Folgerungen zur mangelhaften Einbettung des Diskriminierungsschutzes in internationale menschenrechtliche Anforderungen.

Immerhin: Der Bericht zum Postulat bedeutet eine – wenn auch viel zu zaghafte – Abkehr von der bisherigen Haltung des Bundesrates, das geltende Recht und die darauf abgestützte Rechtsprechung böten einen ausreichenden Schutz vor Diskriminierungen und die bestehenden Instrumente reichten aus, um sich dagegen zu wehren.

Wenn der Bundesrat dies aber nur feststellt, in wesentlichen Handlungsfeldern aber keine Konsequenzen daraus zieht, wird das Einfordern gesetzgeberischer Reformen Aufgabe der Organisationen, die sich gegen Diskriminierungen einsetzen, und des Parlamentes bleiben.

Einen ersten Schritt dazu hat – überraschend – die Rechtskommission des Nationalrates an ihrer Sitzung vom 18. August 2016 getan: Gestützt auf die abschliessende Empfehlung des SKMR forderte die Kommission in einer Motion den Bundesrat auf, die «in seinen Augen sinnvollen Empfehlungen des SKMR in konkrete Vorschläge umzusetzen und diese in einen allgemeinen Aktionsplan zur Verbesserung des Justizzugangs diskriminierter Menschen aufzunehmen». Das Stimmenverhältnis, mit dem die Kommissionsmotion zustande kam (12 zu 11 bei 1 Enthaltung) zeigt auf, wie knapp die Entscheidung im Nationalrat ausfallen könnte. Der Bundesrat empfahl am 19. Oktober die Ablehnung der Motion, weil einige der Prüfungsaufträge aus seiner Sicht bereits in laufenden Projekten behandelt werden. Auch im Parlament sind die politischen Mehrheiten für unsere Forderung nicht besser geworden. Zusammen mit allen Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen, die sich gegen Diskriminierungen aller davon betroffenen Gruppen einsetzen, kann es uns aber gelingen, hier einen nächsten wichtigen Schritt zu schaffen. Der Synthesebericht und die Teilstudien des SKMR liefern dazu kaum widerlegbare Argumente. Auch dies ein politischer Erfolg und ein Versprechen für die Zukunft.