Autor
Michael Bischof ist stellvertretender Leiter der Integrationsförderung der Stadt Zürich.
michael.bischof@zuerich.ch
Integrationsarbeit und Diskriminierungsbekämpfung stehen zuweilen in einem Spannungsfeld. So kann ein rigides Behördenverständnis von Integration ausgrenzend wirken. Es ist deshalb zwingend, in der Integrationsarbeit Diskriminierung immer mitzudenken.
Integration kann gefördert und gehemmt werden. Das stösst heute auf breite Zustimmung. Wer Integration fördern will, muss gleichzeitig Integrationshindernisse abbauen. Im Bericht zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik (2010) betont der Bundesrat, Integrationsförderung müsse Hand in Hand mit Diskriminierungsbekämpfung und dem Abbau von strukturellen und individuellen Hürden gehen. Das ist in der Entwicklung der hiesigen Antidiskriminierungspolitik ein wichtiger Schritt. Massnahmen der Diskriminierungsbekämpfung sind seither integraler Bestandteil der Integrationspolitik. Die vom Bund 2014 initiierten Kantonalen Integrationsprogramme (KIP) verpflichten die Kantone zu entsprechenden Massnahmen. In der Folge haben Kantone etwa Beratungsstrukturen für Rassismusbetroffene aufgebaut. Sind Integrationsförderungen und Rassismusbekämpfung demnach zwei Seiten derselben Medaille? Wäre dem so, führten Integrationsmassnahmen zwangsläufig zum Abbau von Diskriminierung.
In der Realität sind die Dinge komplexer. Integrationsarbeit und Diskriminierungsbekämpfung stehen zuweilen in einem Spannungsfeld. In gewisser Weise ist dies im aktuellen Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer so angelegt. Das Ausländergesetz postuliert die «Offenheit» der hiesigen Gesellschaft als eine Voraussetzung von Integration. Gleichzeitig schränkt es aus migrationspolitischen Motiven Integrationsleistungen auf rechtmässig und längerfristig anwesende Personen ein. Es verlangt «Offenheit» und «Ausschluss» zugleich.
Die Verzahnung von Integrations- und Migrationspolitik ist für die praktische Antidiskriminierungsarbeit eine Herausforderung. Regelstrukturen haben zunehmend fremdenpolizeiliche Kontrollaufgaben. Zivilstandsämter müssen seit 2008 etwa prüfen, ob eine Ehe ein Verstoss gegen ausländerrechtliche Bestimmungen darstellt. Das birgt ein nicht zu unterschätzendes Diskriminierungspotential bei der Identifizierung verdächtiger Brautleute (diskriminierendes Profiling). Dass Personen mit einem prekären Aufenthaltsstatus – also eine Personengruppe mit einem «Integrationsbedarf» und einem erhöhten «Diskriminierungsrisiko» – besonders in den Fokus von Kontrollroutinen geraten können, macht die Problemstellung vielschichtig. Zivilstandsbehörden stehen im Konflikt zwischen der integrationspolitisch geforderten interkulturellen Öffnung und migrationspolitisch auferlegten Kontrollaufgaben. Integrationsfachstellen müssen ihre Antidiskriminierungsarbeit innerhalb dieser Widersprüche tarieren.
Selbst in der Anwendung des Integrationsbegriffs im Einzelfall findet sich dieses Spannungsfeld. Etwa bei Einbürgerungsentscheiden oder der Berücksichtigung des individuellen Integrationspotentials im Aufenthaltsrecht. Die Eidgenössische Migrationskommission (EKM) hat bereits 2008 auf die hier bestehenden Risiken hingewiesen. Immer wieder gelangen Einbürgerungsentscheide an die Öffentlichkeit, welche dies veranschaulichen. Sie zeigen, dass der Integrationsbegriff von Behörden ausgrenzend angewendet werden kann. Etwa indem Behörden ein rigides Verständnis von «Integration» vertreten, das für individuelle Aspekte wenig Raum lässt. Oder indem die Bemessungskriterien – etwa der geforderte Detaillierungsgrad von Ortskenntnissen bei Einbürgerungsgesprächen – sehr hoch angesetzt werden. Welche gesellschaftlichen und individuellen Folgen ein rigides Einfordern von Integration hat, zeigen die Untersuchungen aus dem Nationalen Forschungsprogramm Integration und Ausschluss (NFP 51). Es ist deshalb zwingend, in der Integrationsarbeit Diskriminierung immer mitzudenken. Gerade dann, wenn Integration zu einem Gradmesser für staatliche Sanktionen wird. Jede Institution, so eine Erkenntnis aus dem NFP 51-Bericht, müsse sich die Frage stellen, wann es tatsächlich um die Förderung der Integration und wann eher um Zwang zur Assimilation gehe.
Daraus den Schluss zu ziehen, mit dem zunehmenden staatlichen Engagement in der Integrationsförderung steige automatisch das Diskriminierungsrisiko, zielt allerdings zu weit. Vorsicht ist dennoch geboten: etwa dann, wenn Projekte der spezifischen Integrationsförderung zur Stigmatisierung betroffener Gruppen beitragen. Wird einer Gruppe ein besonderer «Förderbedarf» zugeschrieben, besteht immer die Gefahr, dass dieser Bedarf als gruppenspezifisches Defizit oder kulturelle Eigenschaft in den Vordergrund tritt. Projektträgerschaften von Integrationsprojekten kennen dieses Dilemma der Zielgruppenansprache gut.
Auf einen bedenkenswerten Zusammenhang zwischen Integration und Diskriminierung verweist der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani. In seinen Publikationen betont er immer wieder, dass Diskriminierungserfahrungen mit steigender Integration zunehmen. Je besser Integration gelinge, desto stärker werde über Diskriminierung diskutiert. Der öffentliche Disput über Diskriminierung zeige, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrungen ein Teil der Gesellschaft seien und sich nicht länger an deren Rand drängen liessen.
Stehen individuelle Diskriminierungserfahrungen im Raum, ist der Vorwurf des «Opferdiskurses» nicht weit. Menschen, die ihre Diskriminierungserfahrungen zu Sprache bringen, sind indes alles andere als passive Opfer. Schon eher verweisen sie aus subjektiver Perspektive auf gesellschaftliche Missstände. Individuelle Alltagserfahrungen auf subjektiver Ebene – etwa voreingenommene Fragen bei einem Bewerbungsgespräch – verweisen oft auf objektiv feststellbare Diskriminierungen auf institutioneller oder struktureller Ebene – etwa statistisch nachweisbare Benachteiligungen auf dem Lehrstellenmarkt. Der Grosserfolg von Büchern wie «Americanah» von Chimamanda Ngozi Adichie oder Filmen wie Raoul Pecks «I Am Not Your Negro» zeigen, dass individuelle Perspektiven auf gesellschaftliche Resonanz stossen. Schliesslich halten in der Schweiz zwei Drittel der Bevölkerung Rassismus für ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem.
Das Zurückweisen von Diskriminierungserfahrungen ins Private und Subjektive ist eine Anti-Integrationspraxis. Für eine integrative Antidiskriminierungsarbeit ist die Berücksichtigung der Betroffenenperspektive zentral. Doch gerade diese Perspektive stösst in der konkreten Antidiskriminierungsarbeit immer wieder auf enormen Widerstand. Vergessen wird, dass es etwa im Bereich der sexuellen Belästigung eine etablierte Praxis der Berücksichtigung subjektiver Erfahrungen gibt. Ob eine Belästigung vorliegt, bemisst sich wesentlich am Empfinden der betroffenen Person. Dieser Ansatz liesse sich durchaus auf rassistische Diskriminierung anwenden. Vielerorts hält sich in den Regelstrukturen jedoch ein enges Verständnis von Rassismus. Demnach zeichnen sich (rassistisch) diskriminierende Handlungen durch (rassistische) Motive aus. Entsprechend können nur rassistische Menschen rassistisch handeln. Vertreten Institutionen ein solches enges Rassismusverständnis, kommen geäusserte Rassismuserfahrungen oder Anti-Rassismus-Projekte zwangsläufig als moralische Vorwürfe an. Die – durchaus zielführende – Pragmatik vieler Integrationsfachstellen besteht deshalb darin, den Regelstrukturen Antidiskriminierungsarbeit unter positiv besetzten Begriffen wie «Toleranz», «Vielfalt», «interkultureller Öffnung» oder «Kundenorientierung» zu verkaufen. Bloss nicht von Rassismus sprechen! Rassismus bleibt so vielerorts ein weisser Fleck in der Integrationsarbeit.
Rassismus ist mehr als ein individuelles Vorurteil. Er ist ein Aspekt der sozialen Realität und überschneidet sich oft mit anderen Benachteiligungsaspekten wie etwa Geschlecht oder sozialer Schicht. Machtverhältnisse spielen dabei eine zentrale Rolle. Nach einem solchen Verständnis lässt sich jede Institution und Tätigkeit auf Rassismus hin betrachten. Im Fokus sind dabei Strukturen und Abläufe, deren Wirkungen und damit verbundene individuelle Erfahrungen. Es geht also um gesellschaftlich etablierte Handlungsweisen, die rassistische Ungleichbehandlungen hervorbringen. Handlungsweisen, die weniger auf individuelle Vorurteile, sondern auf eingespielten Routinen und historische Bezüge (etwa zu kolonialen Denkweisen) verweisen. Wenn ein Versicherungskonzern seinen Call-Center-Mitarbeitenden mit ausländisch klingendem Namen rät, Pseudonyme zu verwenden, lässt sich dies kaum mit vorhandenen individuellen Vorurteilen erklären. Ein Rassismusverständnis, das soziale Verhältnisse ins Zentrum stellt, führt oft zu Unverständnis und Zurückweisung. Insbesondere, wenn die geschilderte Betrachtungsweise einem engen – strafrechtlichen – Verständnis entgegensteht oder der Auffassung, nur Handlungen von Rassistinnen und Rassisten könnten rassistisch wirken. Die Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette spricht in diesem Zusammenhang von «happyland», in welchem sich viele (weisse) Menschen befinden, die davon ausgehen, dass sie selbst nichts mit Rassismus zu tun haben. Das Ansprechen von Rassismus kommt entsprechend der Vertreibung aus dem Paradies gleich.
Vielzitiert in der Integrationsarbeit ist Max Frischs Bonmot «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen». Vergessen geht dabei meist, dass Frisch dem berühmten Satz 1965 die markige Aussage voranstellte: «Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr». Es wäre 53 Jahre nach der Veröffentlichung von Frischs Text an der Zeit, mehr über den ersten Satz zu sprechen. Dass dies schwierig ist, hielt der Autor damals ebenfalls fest: «Man ist kein Rassist; es ist schliesslich eine Tradition, dass man nicht rassistisch ist.»
Nach 2009 und 2013 hat die Stadt Zürich für 2017 einen dritten Rassismusbericht vorgelegt. Dieser richtet den Fokus auf die Wirkung von Diskriminierungen. Dabei geht es um ein Verständnis von Rassismus, das sich nicht nur auf strafrechtlich relevante Übergriffe Einzelner bezieht, sondern auch subjektiv wahrgenommene Wirkungen von Diskriminierungen berücksichtigt. Diese können individuell durch Personen verursacht sein, aber auch durch Strukturen, die den gleichberechtigten Zugang der gesamten Bevölkerung zu einer Dienstleistung erschweren. Die interdepartementale Arbeitsgruppe, die den Bericht erarbeitet hat, empfiehlt der städtischen Verwaltung, aufmerksam zu sein gegenüber unbeabsichtigten diskriminierenden Wirkungen der eigenen Tätigkeiten.
Die Arbeitsgruppe plädiert für ein Verständnis von Rassismus, das sich an Wirkungen orientiert. Als Beispiel einer solchen Anti-Diskriminierungsarbeit wird die Offene Jugendarbeit Zürich (OJA) genannt. Mit Fachwissen und Aufmerksamkeit gegenüber Ausgrenzungen gelinge es der OJA, Rassismus im betrieblichen Alltag aktiv anzusprechen und von Rassismus betroffene Jugendliche zu stärken.
Mit dem Beitritt zur Europäischen Städte-Koalition gegen Rassismus hat sich die Stadt Zürich 2007 zur Umsetzung eines Aktionsplans verpflichtet. Dazu wurde eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt, die der Stadtregierung alle vier Jahre Bericht erstattet und sich regelmässig mit Organisationen der Zivilgesellschaft austauscht. (red)
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