TANGRAM 38

Hohe Hürden für Rassismusopfer im Privatrecht. Weshalb im Privatrecht Urteile wegen Rassendiskriminierung selten sind

Autor

Walter Kälin ist emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern und leitete von 2011-2015 das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte. walter.kaelin@oefre.unibe.ch

Obwohl es im Privatrecht durchaus Schutz vor Diskriminierung gibt, gehen nur wenige Betroffene vor Gericht. Einer der Gründe sind prozessuale Hürden. So gibt es bei Rassismusfällen keine Erleichterung der Beweislast. Zudem fehlt ein Verbandsbeschwerderecht.

Rassismus kennt viele Formen: Öffentliche Aufrufe zu Hass und Diskriminierung oder öffentliche Herabsetzung in einer Weise, die gegen die Menschenwürde verstösst, führen regelmässig zu Strafverfahren wegen Verstössen gegen Art. 261bis Strafgesetzbuch. Die Datenbank der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus verzeichnet immerhin 798 Entscheide zu dieser Strafbestimmung. Obwohl Nichtanstellung oder Entlassung aus Gründen der Rasse, Ethnie oder Religion – im Extremfall zum Preis der Arbeitslosigkeit – oder eine diskriminierende Wohnungskündigung Menschen direkter und nachhaltiger als eine Herabwürdigung in einem Facebook-Eintrag oder Blog treffen können, konnte in krassem Gegensatz dazu eine gesamtschweizerische Untersuchung des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) nur gerade fünf Urteile zum Schutz vor Rassendiskriminierung im Privatrecht eruieren. Zahlreicher sind Urteile im Bereich des öffentlichen Rechts. Viele betreffen die Frage, wann die Verweigerung der Einbürgerung durch eine Gemeinde Diskriminierung wegen der Rasse, Ethnie oder Religion der betroffenen Person darstellt.

Natürlich erlauben weder das öffentliche Recht noch die privatrechtlichen Bestimmungen des Arbeits- und Mietrechts Rassismus. Im Gegenteil: Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung verbietet Behörden aller Stufen Diskriminierung unter anderem wegen der Herkunft, der Rasse oder der Überzeugung. In diesem Sinn hat das Bundesgericht wiederholt entschieden, dass eine Einbürgerung nicht allein deshalb verweigert werden dürfe, weil eine Muslimin ein Kopftuch trage.

Missbräuchliche Kündigung wegen Kopftuch

Das Privatrecht kennt zwar keine ausdrückliche Antirassismus-Norm, gemäss einhelliger Rechtslehre und Gerichtspraxis schützen aber die Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz (Art. 27 ff. ZGB) und zum Schutz der Persönlichkeit bzw. zum Verbot missbräuchlicher Kündigung im Arbeitsverhältnis (Art. 328 und 336 OR) auch vor Rassendiskriminierung in privatrechtlichen Beziehungen. So entschied etwa das Bezirksgericht Arbon 1990, die Entlassung einer Frau, welche sich weigerte, in einem Betrieb, welcher Elektrogeräte herstellt, das Kopftuch abzulegen, stelle eine missbräuchliche Kündigung dar. Zum gleichen Schluss kam das Bezirksgericht St. Gallen 1999 im Fall eines Malers jüdischen Glaubens, welcher entlassen wurde, nachdem er sich bei der Geschäftsleitung darüber beklagt hatte, dass Fehlstellen bei Malerarbeiten im Betrieb regelmässig als «Juden» bezeichnet wurden. Das Tribunal de Prud’Hommes de l’arrondissement de Lausanne hiess 2005 die Klage einer Frau gut, welcher die Anstellung als Nachtwache mit Hinweis auf ihre dunkle Hautfarbe verweigert wurde. Ebenfalls um eine unzulässige Anstellungsdiskriminierung ging es in einem Urteil des Arbeitsgerichts Zürich aus dem Jahre 2006, welches eine Reinigungsfirma bestraft, die einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) eine offene Teilzeitstelle mit dem Hinweis gemeldet hatte, man wolle wegen der Kundschaft und dem Firmenprofil keine Leute aus dem Balkan.

Diese Urteile zeigen, dass das Privatrecht durchaus Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Rasse, Ethnie und Religion bieten kann. Das wirft die Frage auf, warum die Zahl von Gerichtsverfahren in diesem Bereich so tief ist. Die Studie des SKMR hat gestützt auf Befragungen von Beratungsstellen und Gerichten eine Reihe rechtlicher und faktischer Gründe identifiziert.

Abwägung des Prozessrisikos schwierig

Für viele Betroffene ist der Gang an ein Gericht von Anfang an kein Ziel. Entweder sind sie sich dieser Möglichkeiten nicht bewusst oder beim Gang zu einer Beratungsstelle steht für sie der Wunsch im Vordergrund, eine persönliche Verletzung melden zu können, dafür Verständnis zu bekommen und ihre Folgen mit Gesprächen und Beratung zu lindern. Entsprechend verfolgen viele Mitarbeitende von Beratungsstellen, von denen die wenigsten über eine juristische Ausbildung oder vertiefte Rechtskenntnis verfügen, im Umgang mit Klientinnen und Klienten eher einen psychosozialen als einen rechtlichen Ansatz.

Viele Beratende sind auch der Meinung, Arbeits- und Mietrecht würden praktisch keine Normen zum Diskriminierungsschutz enthalten. Während dies nicht zutrifft, trägt die überaus kleine Zahl von wenig bekannten Urteilen zur Rassendiskriminierung im Arbeitsleben und das Fehlen einer entsprechenden Rechtsprechung zum Schutz im Bereich des Wohnens und in anderen Lebensbereichen wenig zur Rechtssicherheit bei. Für Personen ohne vertiefte Rechtskenntnisse im Bereich des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ist es tatsächlich kaum möglich, in einem konkreten Fall eine rechtliche Einschätzung vorzunehmen und das Prozessrisiko abzuwägen.

Diese komplexe Rechtlage wird weiter durch die Tatsache erschwert, dass im Bereich des privatrechtlichen Diskriminierungsschutzes mehrere prozessuale Hindernisse bestehen. Anders als etwa im Bereich der Geschlechterdiskriminierung existieren in Rassismusfällen keine Beweislasterleichterungen, es ist somit alleinige Pflicht der klagenden Partei, den Nachweis zu erbringen, dass eine Nichtanstellung oder eine Kündigung aus rassistischen Gründen erfolgte, und sie allein trägt den Nachteil, wenn ihr dies nicht gelingt.

Last der Prozessführung beim Betroffenen

Im Weiteren existiert für den privatrechtlichen Diskriminierungsschutz kein Verbandsbeschwerderecht anders als für Fälle von Diskriminierung, welche vom Bundesgesetz über die Gleichstellung der Geschlechter und vom Behindertengleichstellungsgesetz erfasst werden. Das heisst, es gibt keine Möglichkeit für Vereinigungen, welche sich gegen Rassismus einsetzen, mit Klagen das öffentliche Interesse an der Bekämpfung des Rassismus durchzusetzen.

Die ganze Last der Prozessführung liegt somit bei der betroffenen Person. Die Angst vor negativen Konsequenzen wie Problemen am Arbeitsplatz oder gar dessen Verlust, der ungewisse Ausgang des Verfahrens und die bei Unterliegen drohenden Prozess- und Anwaltskosten halten Betroffene meist davon ab, den Rechtsweg zu beschreiten. Ein weiterer Grund liegt in der Tatsache, dass die privatrechtlichen Sanktionen regelmässig relativ gering sind. So wird im schweizerischen Recht beispielsweise eine ungerechtfertigte Kündigung nicht mit der Pflicht zu Wiederanstellung, sondern mit der Bezahlung einiger Tausend Franken sanktioniert. Die grosse persönliche Belastung von Justizverfahren und die Risiken der Prozessführung können somit die Vorteile im Erfolgsfall kaum aufwiegen.

Es gibt also objektive Gründe, warum in Fällen von Rassendiskriminierung der Rechtsweg so selten beschritten und von den Betroffenen oft nicht als adäquate Lösung für ihre Probleme gesehen wird. Zwar ist es zu begrüssen, wenn Streitigkeiten aussergerichtlich beigelegt werden können. Eine Rechtslage, welche es Opfern von Rassendiskriminierung im Privatbereich erleichtern würde, erlittene Verletzungen gerichtlich geltend zu machen, würde aber nicht nur jenen helfen, welche den Schritt an ein Gericht wagen, sondern auch präventiv wirken. In diesem Sinn regelt etwa das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 detailliert, was im Bereich des Privatrechts Diskriminierung, u.a. auch aus Gründen der Rasse, Ethnie und Religion darstellt, und es sieht für solche Fälle Beweislasterleichterungen und das Verbandsklagerecht vor. Entsprechende Regeln wären auch für das schweizerische Recht zu begrüssen.

Bibliografie

Kälin, Walter und Locher, Reto: Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen, Synthesebericht, Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte, Juli 2015.

Probst, Johanna: Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen, Teilstudie 7: Rassismus – Sozialwissenschaftliche Erhebungen, Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte, Juli 2015.